[Afund] Herausforderungen in der Solidaritätsarbeit – Interview mit Freedom News

Quelle: afund, übersetzt von abc wien

Der International Anarchist Defence Fund wird in diesem Monat ein Jahr alt, und um dies zu feiern, teilt der IADF einige Gedanken über die anarchistische Solidaritätsarbeit und die Themen, die die Gründung des Kollektivs beeinflusst haben.

Unsere kollektive Solidaritätsstruktur unterstützt Anarchist*innen und anarchistische Sympathisant*innen auf der ganzen Welt, die aufgrund ihrer politischen Ideen oder Aktivitäten verfolgt werden oder sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden. Jede*r im Kollektiv – wahrscheinlich genau wie jede*r andere, der*die diesen Artikel liest – war entweder in bestehende Solidaritätsgruppen eingebunden oder stand selbst vor Repression.

Als wir über die Gründung des   Funds nachdachten, haben wir ihn daher als etwas konzipiert, das eine Reihe von Problemen im Zusammenhang mit der Solidarität in unseren Reihen lösen sollte.

Zunächst einmal sollten wir sagen, dass der Fund kein Konkurrent der bestehenden Solidaritäts- und Anti-Repressionsstrukturen ist, sondern eine Ergänzung. Der A-Fund erhebt nicht den Anspruch, eine Gruppe zu sein, die langfristige Unterstützung oder Rechtsberatung anbietet, Aktivist*innen im Umgang mit der Polizei aufklärt usw., wie es viele ABC-Gruppen tun. Wir bieten nur einmalige finanzielle Hilfe und einige informationelle Unterstützung.

Warum halten wir dies für wichtig?

Hier kommt der erste Aspekt der Solidarität, und zwar die ungleiche Verteilung der Ressourcen. Die Zusammenhänge, in die wir hineingeboren werden und unsere Hintergründe beeinflussen die Höhe der möglichen finanziellen Unterstützung, die wir geben und erhalten können. Es geht nicht nur um das Familien- oder Berufsprivileg, sondern auch um die Solidaritäts-Traditionen in der Bewegung, die Verfügbarkeit von aktivistischer Infrastruktur oder einfach nur um Aktivist*innen, die Art und Weise, wie der Staat Menschen in der Region unterdrückt, Verbindungen der Bewegung mit internationalen Gruppen, etc. Die Mischung dieser Faktoren führt zu Menschen, die umfangreiche Unterstützung genießen und im Handumdrehen Geld mit ihren Spendenaktionen sammeln, während wir nie von Fällen aus Regionen hören, die in internationalen Übersetzungen und Facebook-Werbung nicht so stark sind. Der A-Fund wurde eingerichtet, um den Status quo zu durchbrechen und den Zugang zu internationalem Geld weltweit zu erleichtern. Dies ist einer der Gründe, warum wir versuchen, sprachlich zugänglich zu sein – unsere Website umfasst derzeit sieben Sprachen, und weitere kommen noch hinzu.

Zusammen mit der regionalen Ungleichheit besteht die Tendenz, dass bekanntere Gefangene (oder Verfolgte) die größte Unterstützung erhalten. Leute, für die sich viele in der Bewegung verbürgen, die zahlreiche soziale Verbindungen nach außen haben oder hatten, die dafür bekannt sind dies und das zu tun überwiegen wahrscheinlich neue Aktivist*innen, die nicht so lautstark darüber sprechen, was sie tun, oder die einfach nicht sozial genug sind. Manchmal bist du der*die einzige Aktivist*in in deiner Stadt – wer wird für dich eine Solidaritätsgruppe aufbauen? Wir glauben, dass der Zugang zu den Geldern des Funds diese Tendenz ändern kann.

Ein weiterer Unterschied des Funds zu den üblichen Solidaritätsstrukturen besteht in der Möglichkeit der direkten Beteiligung der Geldgeber*innen an der Verteilung des von ihnen gespendeten Geldes. Jede*r, der*die jährlich 20 € oder mehr spendet, tritt der Entscheidungsgruppe bei, die alle Anfragen an den Fund prüft. Dies führt unserer Meinung zu einer geringeren Entfremdung des Funds gegenüber dem anonymen Spenden von Geld bei einem bestimmten Anlass und dem Verlassen darauf, dass einige andere Personen die Entscheidung treffen, wohin dieses Geld fließt.

Die meisten der heutigen solidarischen Crowdfunding-Maßnahmen können als „wohltätig“ bezeichnet werden, bei denen Menschen einen Cocktail oder eine Konzertkarte kaufen und dann vergessen, worum es eigentlich geht. Benefizveranstaltungen sind ein bedeutender und unverzichtbarer Beitrag zu Solidaritätsfonds (einschließlich unseres), aber sie schaffen die Situation, dass wir Massen von Gefährt*innen nutzen, um Geld durch Konsum oder Unterhaltung zu ernten, während sie das Geld auch ohne den Kauf eines weiteren T-Shirts oder Getränks für die Solidaritätsarbeit hätten verwenden können. Für dieses Problem gibt es im Moment keine Lösung, aber wir bieten etwas mehr als das. Die direkte Beteiligung und Kontrolle darüber, wohin das Geld fließt, könnte ein Gefühl der Beteiligung an persönlichen Fällen von Repressionen und sogar an der weiteren Solidaritätsarbeit erzeugen.

Die Teilnahme ist jedoch nicht verpflichtend, jeder kann sich jederzeit von der Liste abmelden. Relevant ist hier auch die Tatsache, dass das Kollektiv hinter dem A-Fund das Geld nicht kontrolliert. Demnach kann es nicht passieren, dass eine Person keine Unterstützung bekommt, nur weil jemand aus dem Kollektiv diese Person nicht mag. Sicherlich ist es für die Person aus dem Kollektiv möglich, dem Rest der Entscheidungscrew die Vorbehalte mitzuteilen und zu besprechen, aber es wird nur eine Stimme von vielen sein.

Wir neigen dazu zu vergessen, dass die Repression weiter reicht, als bis zu direkt betroffenen Menschen, die im Gefängnis landen. Oftmals ignorieren wir diejenigen, die „einfache Geldstrafen“ erhalten, von der Polizei nochmal wegkommen, aber am Ende angeschlagen sind, diejenigen, die Angehörige von direkt Unterdrückten sind, die nach „Interaktionen“ mit staatlicher Repression gesundheitliche oder psychische Probleme haben, und nicht von Menschen auf der Flucht zu sprechen, die jahrelang oder das ganze Leben lang im Untergrund bleiben müssen. Letztere können nicht einfach öffentlich über ihre Situation berichten, damit andere aufgefordert werden, ihnen Geld dorthin zu schicken, wo sie sich verstecken, und ihre Gefährt*innen, die helfen möchten, können dies auch nicht, um nicht zu zeigen, dass sie den Aufenthaltsort des*der gesuchten Gefährt*in kennen.

Bleiben wir ehrlich!

Der A-Fund ist für Anarchist*innen und anarchistische Sympathisant*innen, die auf welcher Art auch immer Probleme im Zusammenhang mit Repressionen haben. Im Gegensatz zu den meisten Solidaritätsgruppen sind wir bei unseren Ausgaben völlig transparent – auf unserer Website finden sich Berichte über sämtliche unserer Transaktionen. Gleichzeitig stehen den Entscheidungsträger*innen aus Sicherheitsgründen die Informationen über die aktuelle Höhe des Funds zur Verfügung. Auch können wir auf Wunsch des*der Antragsteller*in die Transaktion an diese*n geheim oder anonym halten.

Eine letzte Bemerkung ist der Missbrauch der Solidarität. Im Zeitalter der technischen Globalisierung kann leider jeder eine Webseite einrichten, ein paar nette Worte über das nicht existente anarchistische Kollektiv schreiben und um Geld bitten. Der letzte beachtliche Fall war die Aktivität eines Tobi aus Indonesien, der von Crowdfunding besessen war und viel Geld, das für lokale Gruppen und verfolgte Aktivist*innen gesammelt wurde, für persönliche Dinge verwendete. ABC Indonesien hat seine Handlungen in einer Erklärung öffentlich verurteilt. In diesem Sinne verstehen wir, dass eine neue Struktur wie die Unsere Misstrauen hervorrufen kann, insbesondere wenn das Kollektiv – wie in unserem Fall – anonym ist. Wir versuchen, dies mit den Berichten über jeden von uns unterstützten Fall zu bekämpfen und stellen eine Liste von Bürg*innen der anarchistischen Gemeinschaft zur Verfügung, die uns unterstützen.

Das größte Dilemma, das wir in diesem ersten Jahr hatten, war die Debatte über symbolische und grundlegende Unterstützung. Da wir jeweils nur 10 % der aktuellen Summe im Fund für einen positiven Antrag bereitstellen und die Gesamtmenge von der Anzahl der erhaltenen Spenden abhängt, waren unsere ersten Unterstützungsbeträge hauptsächlich symbolisch. Wir möchten, dass der A-Fund eine wichtige Hilfe darstellt, die den*die Antragsteller*in oder die Solidargemeinschaft von der notwendigen Mittelbeschaffung zumindest für einige Zeit befreit. In diesem Sinne versuchen wir, Menschen zu ermutigen, sich dem Fund anzuschließen.

Im Moment brauchen wir Freiwillige, die helfen, unser Projekt in ihrer Umgebung bekannt zu machen. Wir möchten eine Liste von anarchistischen Gruppen, anarchistischen Zeitschriften, Webseiten und Räumen zusammenstellen, die wir ansprechen können, und um die Verteilung unserer Flyer, dem Platzieren unseres Banners auf ihren Webseiten oder einer Anzeige in ihrem Magazin oder Zeitschrift, etc. bitten. Wir sind auf der Suche nach Menschen, die uns helfen können eine solche Datenbank für ihre Region oder Stadt zu erstellen. Einzelne Menschen und Kollektive sind ebenfalls eingeladen, zu spenden und sich unserer Entscheidungsgruppe anzuschließen, Soliveranstaltungen zu organisieren, Spendenboxen zu installieren und so weiter. Wenn ihr eine Präsentation über den A-Fund in eurer Stadt machen möchtet, ist das auch fantastisch!

Bitte verweist Menschen auf den A-Fund, wenn sie von Repression betroffen oder bedroht sind.

Wenn ihr weitere Ideen habt, Informationen über den A-Fund zu verbreiten oder Spenden zu gewinnen, kannst du uns gerne an a-fund@riseup.net. schreiben.

Gemeinsam werden wir den Kampf gewinnen.

-->