[Italien] Über die Repression gegen Anarchist*innen in Italien

Quelle: act for freedom, übersetzt von abc wien

Italien hat bedauerlicherweise eine lange Geschichte repressiver Operationen gegen Anarchist*innen. Seit der Operation Marini in den 90er Jahren gab es unzählige Wellen der Repression gegen Gefährt*innen, die viele Menschen unter dem Vorwurf des Terrorismus oder der kriminellen Vereinigung inhaftiert haben.

 

Um nur einige der größten repressiven Operationen zu nennen: Cervantes, Croce Nera, Ardire, Mangiafuoco, Thor, Ixodidae, Nottetempo, Fuoriluogo… Diese Operationen führen in der Regel zu mehrfachen Hausdurchsuchungen in ganz Italien und zur Verhaftung mehrerer Gefährt*innen, die dann 1 oder 2 Jahre in Untersuchungshaft verbringen müssen. Anschließend werden sie mit Anklagen wegen “ Vereinigung “ vor Gericht gestellt, und in der Regel auch mehrerer direkter Aktionen beschuldigt, für die die Untersuchungsbeamten nie eine*n Verantwortliche*n gefunden haben. Ab einem gewissen Punkt ist das öffentliche Engagement dieser Gefährt*innen im anarchistischen Kampf und ihr offener Ausdruck anarchistischer Ideen (Unterstützung von direkten Aktionen, Solidarität mit Gefangenen, Betrieb einer anarchistischen Zeitschrift oder Website usw.) der einzige Beweis, den die Staatsanwält*innen vor Gericht bringen. Aus diesem Grund werden in den meisten Fällen alle Angeklagten im späteren Prozessverlauf freigesprochen, aber erst nachdem sie viele Monate oder Jahre im Gefängnis verbringen mussten.

Neben diesen riesigen Operationen gibt es eine ständige Unterdrückung lokaler anarchistischer Gruppen, die in ihrer Umgebugn besondersaktic xins, z.B. bei Kämpfen gegen polizeiliche Repressionen, Vertreibungen, Haftanstalten für Migranten, Gefängnisse, Gentrifizierung, Unternehmensinteressen…. In diesen Fällen werden Anarchist*innen mit ständig wiederkehrenden Prozessen unterdrückt und sie verbringen einen Großteil ihrer Zeit im Gefängnis, Hausarrest oder mit anderen Einschränkungen ihrer Freiheit. Diese Art von Polizeistrategie, Gefährt*innen mit dem Ziel der Zerstörung der lokalen anarchistischen Gruppe auszurotten, findet in vielen Städten Anwendung, ist aber seit vielen Jahren in Turin besonders stark.

Da es unmöglich ist, über alle stattfindenden Prozesse und Repressionen zu berichten, konzentrieren wir uns mit diesem Text auf drei wichtige Repressionsfälle, für die so viele unserer Gefährt*innen derzeit inhaftiert sind: die Operation Scripta Manent, die Operation Panico in Florenz und die jüngste Operation Scintilla in Turin.

OPERATION SCRIPTA MANENT

Operation Scripta Manent begann im September 2016 mit einer Reihe von Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in ganz Italien. 32 Gefährt*innen wurden der terroristischen Vereinigung und einiger spezifischer direkter Aktionen beschuldigt; sieben von ihnen wurden ins Gefängnis gebracht.

Die Untersuchung bezieht sich auf eine Reihe von Angriffen, für die sich FAI und FAI/FRI bekannten und die zwischen 2003 und 2012 gegen Streitkräfte (Polizeiofficer, Carabinieri-Kasernen, Carabinieri-Ausbildungszentren und RIS), Staatsmänner und –frauen (Bürgermeister*innen, Innenminister*innen), Journalist*innen, Unternehmen, die an der Instandhaltung von Migrantengefängnissen beteiligt sind, und gegen den Direktor eines Migrantengefängnisses verübt wurden. Die Verwundung des Ingenieurs Adinolfi, Exekutivdirektor von Ansaldo Nucleare, ist ebenfalls Teil der Untersuchung – ein Ereignis, das bereits in einem anderen Prozess verhandelt wurde und zu dem sich Olga Nucleus FAI/FRI, nämlich Nicola und Alfredo, bekannten, die seit 2012 im Gefängnis sitzen (sie werden in diesem Prozess auch angeklagt).

Auf verschiedenen Ebenen gibt es auch die Anklage der Gründung und Beteiligung an einer subversiven Vereinigung (Artikel 270bis), Anklagen im Zusammenhang mit bestimmten Verbrechen (Artikel 280) und Anklagen wegen Anstiftung zur Begehung und zur Verteidigung von Verbrechen (Artikel 414) aufgrund von Artikeln, Websites, Blogs und anarchistischen redaktionellen Projekten – unter anderem eine Anarchist Black Cross Gruppe zur Gefangenenunterstützung.

Nach mehr als zwei Jahren befinden sich sechs der Angeklagten noch immer im Gefängnis in Untersuchungshaft, während eine*r unter Hausarrest steht. Aufgrund der terroristischen Anschuldigung werden sie in speziellen Hochsicherheitstrakten innerhalb der Gefängnisse festgehalten, wo sie vom Rest der Gefangenen isoliert sind, und viele Einschränkungen bei ihrer Post und ihren Besuchen erleiden.

Der Prozess Scripta Manent, der im Juni 2017 begann, betrifft die 40-jährige Geschichte der anarchistischen Bewegung. Der Dreh- und Angelpunkt des anklagenden Theorems dieser Untersuchung basiert auf der Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Anarchist*innen und der durch die Repressionsbehörden instrumentalisierten Auslegung der Debatte innerhalb der anarchistischen Bewegung. Der Prozess zeichnete sich durch die Verwendung der Debatten innerhalb der anarchistischen Bewegung in einem inszenierten Spiel von Interpretationen und Differenzierungen aus, das die zuständige Staatsanwaltschaft gegen die Anarchist*innen selbst zu verwenden versuchte, um unsere Gefährt*innen zu verurteilen und die letzten zwanzig Jahre der Geschichte des Anarchismus und der anarchistischen Solidarität vor Gericht zu stellen. Tatsächlich werden alle Solidaritätsbekundungen, die auf Webseiten, Flugblättern, Zeitschriften und Postern zum Ausdruck kommen, weiterhin in die Gerichtsunterlagen aufgenommen.

Der erste Teil des Prozesses soll in den ersten Monaten des Jahres 2019 mit dem Urteil in erster Instanz enden.

OPERATION PANICO (FIRENZE)

Am 1. Januar 2017 explodierte vor einer faschistischen Buchhandlung in Florenz eine selbst gebaute Bombe, bei der ein Polizist der Bombenräumeinheit eine Hand und ein Auge verlor.

Sofort wurden mehrere Häuser anarchistischer Gefährt*innen in der Stadt durchsucht. Die Polizei hoffte, Schusswaffen und/oder Sprengstoff zu finden. Eine Untersuchung gegen Unbekannt wurde eingeleitet, mit der Absicht jemanden wegen der Straftaten „Herstellung, Besitz und Transport eines Spreng- oder Brandsatzes zu einem öffentlichen Ort“ und „versuchtem Mord“ anzuklagen.

Gleichzeitig begann die Polizei Ende Januar mit einer separaten Operation namens „Operazione Panico“ (Operation Panik). Mehrere anarchistische Häuser wurden durchsucht und einige Gefährt*innen verhaftet. 35 Personen waren im direkten Fokus, verdächtigt wegen einer Reihe von umstrittenen Ereignissen, die sich 2016 in der Stadt ereigneten. Sie wurden wegen der Straftat der „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ angeklagt. Zu diesen Ereignissen gehören ein Angriff mit Knüppeln und Steinen auf die faschistische Buchhandlung, eine Explosion in derselben Buchhandlung und die Verteilung antimilitaristischer Flugblätter auf einem lokalen Markt. Die Operation führte auch zur Räumung der Villa Panico, einer der historischen Besetzungen Florenz‘, die die letzten 10 Jahre besetzt war.

Am 3. August kam es zu einer gemeinsamen landesweiten Operation zwischen den DIGOS (der polizeilichen Spezialeinheit), der ROS (der Spezialeinheit der Carabinieri) und der Terrorismusbekämpfungspolizei, die in 8 weiteren Verhaftungen endete: 6 in Florenz, 1 in Rom und 1 in Lecce. Fünf Gefährt*innen wurden wegen versuchten Mordes aufgrund der Bombenanschlägen an Silvester angeklagt, die anderen wegen „Herstellung, Besitz und Transport eines Spreng- oder Brandsatzes zu einem öffentlichen Ort“. Die zweite Anklage bezieht sich auf einen Molotow-Angriff auf eine Carabinieri-Kaserne.

Am 5. August wurden 6 verhaftete Personen mangels Beweisen freigelassen. Ein Gefährte, Ghespe, ist noch immer im Gefängnis, da die Behörden behaupten, Spuren seiner DNA an Komponenten gefunden zu haben, die zum Bau der Bombe verwendet wurden. Ein weiterer Gefährte, Paska, der mangels Beweisen für die Ereignisse vom Silvesterabend hätte freigelassen werden sollen, wird immer noch wegen angeblicher „Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“ festgehalten, die auf Beweisen beruht, die während der Operation Panico gesammelt wurden. Ein dritter Gefährte, Giova, wurde später verhaftet und befindet sich immer noch im Gefängnis. Die Untersuchung gegen unbekannte Personen wurde daher in die Operation Panico integriert.

Der Prozess für die Operation Panico begann im Sommer 2017 und dauert noch an. Das Urteil erster Instanz soll bald, zwischen März und April 2019, gefällt werden.

OPERATION SCINTILLA (TORINO)

Am Donnerstag, den 7. Februar 2019, früh am Morgen, stürmten Hunderte von Polizist*innen mit Hilfe der Feuerwehr das Asilo, eine anarchistische Besetzung in Turin, die seit 1995 besteht und sich sehr aktiv für die Organisation von sozialen Kämpfen einsetzte (gegen Vertreibungen, gegen Gefängnisse für Migrant*innen, noch vor einigen Jahren gegen den TAV….). Die Menschen kletterten auf das Dach, wo sie sich über 24 Stunden lang wehrten. Am Ende schafften es die Polizist*innen, alle rauszuholen, das Gebäude zu räumen und zu zerstören.

Neben der Räumung bestand das Ziel dieser repressiven Operation darin, einige Personen zu verhaften, die sie der terroristischen Vereinigung beschuldigen. Den 6 verhafteten Gefährt*innen  (eine siebte Person ist auf der Flucht) werden 21 Angriffe auf Unternehmen und Institutionen (darunter die französische Botschaft und mehrere Postämter) im Zusammenhang mit der Inhaftierung und Ausweisung von Migrant*innen vorgeworfen.

In den folgenden Tagen fanden mehrere Solidaritätsversammlungen in der Nachbarschaft statt, die sich in wilde Demonstrationen verwandelten. Bei der ersten dieser Demonstrationen wurden zwei Gefährt*innen verhaftet. Zwei Tage später durchquerte ein großer Demonstrationszug mit mehr als 1.000 Menschen das Zentrum Turins, zerstörte einige unternehmerische und städtische Ziele und kämpfte mit der Polizei. Vier Menschen wurden verletzt, einer von ihnen durch ein Polizeifahrzeug schwer. Leider wurden am Ende dieser Demonstration weitere 8 Gefährt*innen verhaftet, von der Polizei geschlagen und wegen „devastazione e saccheggio“ (Zerstörung und Plünderung) angeklagt, was mit bis zu 15 Jahre Gefängnis geahndet wird. Am folgenden Tag fand, wie fast jeden Tag, eine Solidaritätsdemonstration vor dem Gefängnis von Turin statt, in dem die Gefährt*innen inhaftiert sind. Einige Feuerwerkskörper wurden gezündet und erreichten das Innere des Gefängnisses. Es kam zur Explosion einiger Gastanks, wodurch ein Teil des Gefängnisses einstürzte und vollständig zerstört wurde (keiner wurde verletzt). Manchmal ist „Feuer den Knästen“ nicht nur ein Slogan!

Am 13. Februar kamen alle Gefährt*innen, die während des Demonstrationszuges und früherer Demonstrationen verhaftet wurden, frei und die schwerwiegendsten Anklagen gegen sie wurden fallen gelassen – sie sind zwar jetzt frei, müssen sich aber jeden Tag auf der Polizeistation melden. Die anderen wegen Terrorismus verhafteten Gefährt*innen bleiben im Gefängnis, die männlichen Gefährten wurden bereits in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt.

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