Revolte Nr. 32 (August 2018)

Quelle: revolte.blackblogs.org

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Inhalt:

Wohin geht die Reise?

Im Hamsterrad

Wo sind die Jugendlichen?

Beitrag zum Artikel ‚Über die Toleranz‘

Graz: Dunkle Zeiten an der Mur

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Wohin geht die Reise?

Der repressive Umbau setzt sich fort

Die Geschehnisse scheinen sich täglich zu überschlagen. Was ist übrig vom Traum des liberalen Europa, vom föderalistischen Modell? Neben der alten Riege der Ausbeuter, hat es sich die Reaktion längst schon in weichen Sesseln bequem gemacht und beginnt zu wüten. Wir werden mit Gesetzten und Scheisse überschüttet. Sollen wir auf alles nur reagieren oder beißen wir zu? Ständig und überall, ohne Kompromiss. Tragen wir die Wut auf jede Form der Autorität tief im Herzen eingepflanzt oder handeln wir lediglich nach klugen Abschätzungen und Zugeständnissen? Wir unternehmen einen weiteren Versuch, uns in einer Lage der zunehmenden Zerstörung des Lebens zu verorten und einen Ausweg aus der Lethargie zu finden, um den Maulkorb abzuschütteln der uns daran hindert ihnen ins Gesicht zu spucken!

Die Rolle Österreichs

Österreich scheint in Europa eine spezielle Rolle eingenommen zu haben. Diese Rolle hat sich durch den Regierungswechsel 2017/2018 noch einmal konkretisiert. Seit 2015 haben bestimmte politische Akteure, vor allem aus den Lagern der SPÖ, ÖVP und FPÖ sich im Zusammenhang mit der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘ an autoritären Umstrukturierungen abgearbeitet. Wichtig auch zu erwähnen ist, dass sie dabei an bereits bestehende Zustände angeschlossen haben. So hat Österreich in den letzten Jahren eine massive Kontrolle der Einwanderung nach Europa forciert, bei gleichzeitigem Umbau der militärischen und polizeilichen Kontrolle im Inland und der Ausweitung diesbezüglicher Gesetze. Und das nicht nur auf nationaler Ebene. Österreich gilt seit einiger Zeit als repressiver Ideengeber als Vordenker für Abschottung. So haben unterschiedliche österreichische PolitikerInnen bereits vor 2 Jahren Auffanglager in Nordafrika vorgeschlagen, eine Idee, die mittlerweile innerhalb der Europäischen Union breit diskutiert wird. Bis jetzt scheint es aber noch kein nordafrikanisches Land zu geben, das auf einen diesbezüglichen Deal einsteigen würde.

Die drei großen Themen die sich die österreichische Politik im Rahmen des EU-Ratsvorsitz gesetzt hat sind die Themen Asyl, Digitalisierung und der Brexit.

Auf dem EU-Gipfel in Innsbruck, der vom 11. – 13. Juli stattgefunden hat, waren Migration und Grenzschutz die großen Themen. Dabei haben sich bei diesem Innenministertreffen, drei Politiker besonders hervorgetan. Matteo Salvini, Horst Seehofer und der österrreichische Innenminister Herbert Kickl. Von einer Achse Berlin-Wien-Rom wird gesprochen. Wenn das nicht eine Huldigung an die guten alten Zeiten ist… So wollen Italien, Deutschland und Österreich in der Abschottung Europas und der Verschärfung des Grenzschutzes vorangehen. Um gegen alle Unerwünschten und jene, die aus falschen Gründen flüchten, vorzugehen.

Die Lüge von der neuen Flüchtlingswelle

Zur Zeit wird hartnäckig die Information nach einer neuen Flüchtlingswelle verbreitet. Allen voran sind das österreichische Politiker die davor warnen, dass die sogenannte Balkenroute wieder ein Gefahr für Einwanderung darstellen werde. Fakt ist, dass zur Zeit nichts darauf hindeutet, dass eine neue ‚Flüchtlingswelle‘ über diesen Weg kommen würde. Was aber die Regierung nicht davon abgehalten hat, dies als Vorwand zu nehmen, um einen eigenen Ausschuss zu gründen, der mit der Absicherung der Grenzen befasst ist. Dieser hat eine spezielle Eingreif-Truppe innerhalb der Polizei gegründet, die als „Puma“ bezeichnet wird. Diese soll bis Herbst mehrere Hundert Mitglieder umfassenden und ist mit der Verfolgung von Flüchtlingen an der österreichischen Grenze, aber auch mit der Kontrolle im Inland beauftragt.

Ende Juni fand in Spielfeld auch wieder ein größeres Manöver zum besseren ‚Grenzmanagement‘ statt. An dieser Inszenierung waren 550 PolizistInnen und 220 SoldatInnen des österreichischen Bundesheeres beteiligt. Unter anderem war die vorher bereits erwähnte Gruppe ‚Puma‘ beteiligt. Das ganz steht im Kontext der fortlaufenden Verstrickung von Militär und Polizei und der weiteren Militarisierung und der Ausweitung der Kontrolle auf dem österreichischen Territorium.

So wird der Rassismus forciert, um die wahren Gründe und Strukturen der Ausbeutung zu verschleiern und auf andere, die keine Stimme haben, zu lenken. Die Panik vor einer neuen ‚Flüchtlingswelle‘ dient zur Aufrüstung von Polizei und Militär und der Absicherung von immer autoritärer werdenden Herrschaftsstrukturen.

Das Stigma des Lagers

Hartnäckig basteln österreichische PolitikerInnen an einem Plan, die Flüchtenden an den Grenzen oder vor den Grenzen der EU abzufangen und zu internieren. Frei nach dem Motto ‚sollen das doch andere für uns erledigen‘. So steht das Stigma des Lagers wieder auf der Stirn Europas. Ein System das in so vielfältiger Hinsicht, ökonomisch, kulturell, politisch, gesellschaftlich, in der Krise steckt, findet wiederum keinen anderen Ausweg, als sich mithilfe der Abschottung gegen den vermeintlichen Zusammenbruch zur Wehr zu setzen. Libyen wurde lange Zeit als Ort für die Errichtung sogenannter ‚Hotspots‘ in Betracht gezogen. Aus Libyen kam aber vor kurzem eine Absage diesbezüglich.

So konzentriert sich die europäische Politik um den Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex. Diese ist in den vergangenen Jahren, immer wieder durch ihr rücksichtsloses Vorgehen gegen Flüchtende aufgefallen. Außerdem hat Frontex selbst immer wieder versucht, Übereinkommen für Internierungslager in Nordafrika zu erreichen.

Die Lager-Idee die in den Köpfen des Politiker Packs und ihres Gefolges herumgeistern sagen alles über die Machtverhältnisse und ihr Menschenbild, ihre Ethik und ihre Skrupellosigkeit in der Wahrung der herrschenden Ordnung, der Vorherrschaft Europas und der weltweiten Ausbeutung.

Eine Lanze für die Wirtschaft

Im Schatten der „Ausländer raus“-Rhetorik der österreichischen Regierung, werden diverse Gesetze ausgearbeitet und auf den Weg gebracht. Diese beinhalten unter anderem massive Einschnitte und Kürzungen im Sozialbereich, bei gleichzeitiger Begünstigung der österreichischen Wirtschaft, sowie dem Ausbau des Wirtschaftsstandortes Österreich.

Die Wirtschaftlichkeit ist wohl zu einem der großen Argumente dieser Regierung geworden. Und dafür werden auch alle nur erdenklichen Gesetzesänderungen vorgenommen. Ein aktueller Streich ist eine Regelung die größere Infrastrukturprojekte schneller durchwinken soll. Im konkreten geht es dabei um die Fristen in denen beispielsweise Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) durchgeführt werden können. Diese sollen massiv herabgesetzt werden, um etwa Projekte die der Kategorie eines Lobautunnels oder der 3. Piste Schwechat entsprechen schneller abgeschlossen und realisiert werden können. Wenn also eine Prüfung länger als 18 Monate dauert, dann gilt das Projekt praktisch als genehmigt. So sollen Unternehmen angelockt werden und Investitionen in große Infrastrukturprojekte erleichtert werden. Dieses sogenannte Standortentwicklungsgesetz liegt gerade zur Begutachtung vor.

So sollen der Wirtschaft auf möglichst schnelle und unkomplizierte Weise Genehmigungen für ihre Projekte des Profits, der Ausbeutung und der Zerstörung unserer Lebensräume zugeschanzt werden. In die selbe Richtung gehen die Vorhaben zur Digitalisierung. Das Hand in Hand geht mit neuen Techniken der Kontrolle und Technisierung von Ausbeutung, Konsum und Produktion.

Das neue Arbeitszeitgesetz, das mehr oder weniger den 12 Stundentag und die 60 Stundenwoche legalisiert, ist dabei ein weiterer Mosaikstein zur totalen Ausbeutung. So soll die Beschneidung von Arbeitsrechten und von sozialer Absicherung die Konkurrenz noch weiter anzufeuern, um die Disziplin der Ausgebeuteten zu erhöhen. Um die Ellbogenmentalität und den sozialen Kannibalismus aufs Maximum zu treiben. Arbeitszeitflexibilisierung, Beschneidung der Mindestsicherung, die geplante Abschaffung der Notstandshilfe, und so weiter. Das alles sind Maßnahmen um den Wettlauf um die Ausbeutung zu beschleunigen.

Eine Entscheidung

Wir stehen vor einer Entscheidung: Politik oder Freie Initiative? Unterdrückung oder Autonomie? Sklaverei oder Freiheit? Dazwischen gibt es nichts mehr. Spielst du mit und das bedeutet nach Regeln zu spielen die sie uns vorgeben oder fangen wir an zu rebellieren?

Jede Gelegenheit, die sich bietet und die wir fähig sind zu ergreifen, ist eine Möglichkeit ihnen ein Bein zu stellen. Und Möglichkeiten gibt es wie Sand am Meer, jeden Tag kommen neue Vorhaben ans Licht der Öffentlichkeit, die so eindeutig dafür sprechen, wohin die Reise dieser Regierung, in diesem Land und in Europa allgemein, gehen soll. Sie machen das alles vollkommen öffentlich. Es ist zum Teil in ihrem Regierungsprogramm nachzulesen. Das sind also keine Verschwörungstheorien, es passiert einfach so, als ob es das normalste auf der Welt wäre. Und während diejenigen die von der Regierung aufgescheucht werden und panisch irgendeine Scheisse brüllen, die eigentlich nichts anderes als ein sich wiederholendes ‚Ausländer raus‘ ist, herrscht auf der anderen Seite ebenfalls Panik und Angst vor dem, was die Regierung noch alles so aushecken könnte. Und das man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen dürfe, sonst ist man vielleicht als nächstes dran.

Panik ist ein schlechter Ratgeber, wenn die Spielräume enger werden, also sollte es dennoch ein Lachen sein, dass ihnen ins Gesicht schlägt. Lasst uns der Dolch sein, der sich hinter dem Lächeln verbirgt!


Im Hamsterrad

Das Leben, das nicht von uns selbst bestimmt wird, wie wir gerne möchten, sondern von anderen kontrolliert wird, folgt bestimmten Abläufen und Regeln. Diese Routine die sie versuchen uns von der Geburt an ein zu impfen und die erst mit unserem Tod enden soll, wird genährt von gesellschaftlichen Normen, kapitalistischen Zwängen und staatlicher Kontrolle. Alle die Macht ausüben, wollen über Art und Weise, sowie Wert und Nutzen unseres Lebens mitbestimmen. So führt der einzige Weg zur Befreiung des Menschen, von diesen Zwängen, über die Revolutionierung unseres Lebens.

Die tägliche Routine

Um unser Leben bestmöglich zu kontrollieren, werden uns von frühester Kindheit bestimmte Abläufe eingetrichtert. Es beginnt mit speziellen gesellschaftlich determinierten Erziehungsregeln, die darauf abzielen uns zu produktiven und treuen Anhängern der Verwertungslogik und Befürwortern der herrschenden Doktrin von staatlicher Souveränität zu machen. Schon von klein auf sollen wir durch Erziehung in der Familie, aber auch durch die täglichen Abläufe von Kindergarten und Schule zu einer bestimmten Art von Mensch geformt werden. Dadurch werden wir schon früh daran gewöhnt, unseren Tag mit Aktivitäten zu verbringen, die nicht uns selbst gehören, die wir auch gar nicht selbst bestimmen. Auf diese Weise werden wir auf ein späteres Leben von Arbeit, Ausbeutung, Reproduktion und Verwertungszwang vorbereitet.

Die Zeit, die wir in unserem Leben zur Verfügung haben, ist begrenzt. Deshalb wäre es doch gut, wenn wir einen möglichst großen Teil dieser Zeit für die Entwicklung unserer Fähigkeiten in Bezug auf die Gemeinschaft, uns selbst und die Erforschung unserer Umwelt und der Verwirklichung unserer Leidenschaften und Wünsche aufwenden könnten. Zu leben in freien Vereinbarungen mit anderen. Und im täglichem Genießen und Erleben der Welt in der wir existieren. Also der Entfaltung des Individuums. Doch das bleibt uns verwehrt. Es soll nicht sein, denn durch unsere Ausbeutung und die tägliche Routine in die wir gezwungen werden, wird eine sehr viel größere Maschine angetrieben und diese verlangt nach Menschenmaterial!

So ist es wichtig, dass sich die täglichen Abläufe unseres Lebens wiederholen. Nicht damit wir es leichter haben und ein gemütliches Leben führen können. Sondern um uns als Masse von Ausgebeuteten besser kontrollieren zu können. So wird diese Routine durch die unterschiedlichen Kontrollinstrumente von Schule, Universität, Arbeitsamt, Lohnarbeit, etc. erzeugt. Wir werden berechenbar. Und die Architekten und Baumeister dieser profit-orientierten Ordnung können mit uns planen und spekulieren.

Schule – Arbeit – Klinik – Tod… So der vorgezeichnete Weg, den wir in dieser Gesellschaftsordnung machen sollen.

Die Idiotie der Zufriedenheit

Ich spreche hier von Europa, doch da sich der Kapitalismus immer mehr eine globale, gemeinsame, totalitäre Kultur zu schaffen versucht, sollen sich auch die Verlangen immer mehr angleichen. Die Verlangen nach jenen Produkten, die uns das Kapital im Austausch zu unserer Freiheit anbietet. Dafür sollen wir arbeiten, streben und uns so gut wie möglich den Verwertungszwängen anpassen.

Es scheint auch nicht zu genügen, einfach das nötigste für unser Überleben zu leisten. Nein, es soll uns auch noch Spass machen. Wir sollen uns bis in unser innerstes mit dieser Ausbeutung und dieser Tristesse identifizieren. Deshalb verkaufen sie uns Ersatzobjekte. Sie verkaufen uns Waren, die die fehlende Selbstbestimmung und Freiheit simulieren sollen. Damit wir brav die Fresse halten, wenn es an der Zeit ist und uns aufregen und empören, ebenfalls wenn es an der Zeit dafür ist. Um unsere Leidenschaften innerhalb jener sozialen Container und Territorien auszuüben, die sie für uns entworfen haben. Alles zu seiner Zeit und am richtigen Ort!

Grundsätzlich sollen wir aber zufrieden sein. Wir sollen mit dem Leben zufrieden sein, denn es gibt immer einen armen Tropf, dem es noch viel schlechter geht als mir. Und so werden uns ständig die Bilder von jenen vorgeführt, denen das Leben Tag für Tag genommen wird. Durch das Elend des Kapitalismus, durch die Kriege die geführt werden, für Geld, Territorium, Ressourcen und Einfluss. Die Zufriedenheit ist ein billiger Ersatz, ein Konstrukt auf tönernen Beinen. Denn diese Zufriedenheit schlägt sehr schnell in Angst um und diese wiederum in Gier. In Angst, dass nicht genug für alle da ist, in Gier, dass die Habenichtse kommen könnten, um unseren Wohlstand in Frage zu stellen und um auch ein Stück vom Kuchen zu ergattern.

Deshalb müssen wir gegen die Idiotie der Zufriedenheit rebellieren. Wir müssen aufbegehren gegen jedes Angebot, jede Identität die uns die Herrschenden versuchen zu verkaufen. Wir müssen mehr an unserer Haltung als unzufriedene Individuen arbeiten, nicht als eine weitere Identität, sondern um uns zu befähigen aus dieser sich ständig wiederholenden Struktur auszubrechen, um nach dem wirklichen Leben zu suchen!

Ich muss hier irgendwie raus!

Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht überlege wie ich hier raus komme. Wie ich mich aus dieser Zwangsjacke befreien kann. Beziehungsweise, wie wir gemeinsam Wege finden können, um uns zu befreien. Eine gewisse Schwierigkeit, weil wir uns an die Abläufe gewöhnt haben, da wir unser ganzes Leben lang in dieser Struktur herangewachsen sind. Für viele sind diese Überlegungen vollkommen unverständlich, sie können nicht nachvollziehen warum man sich darüber Gedanken macht. Denn man könne eh nichts ändern. Alles nur ein Kampf gegen Windmühlen. Doch geht es mir auch darum, wie ich, als jemand der jede Form von Herrschaft ablehnt, das Leben begreift. Denn wenn wir nur einmal den Blick hinter den Vorhang von Kontrolle, Spektakel und Konsum werfen, entdecken wir die Fratze der wirklichen Welt, die aus dem Tod auf Raten besteht. Nichts anderes ist dieses dahin leben, bis wir zu dem Punkt kommen, wo wir abtreten und als unbedeutende Nummern entsorgt werden. Die Frage ist also: Wie werden wir zu handelnden, selbstbestimmten Individuen. Zu Beginn müssen wir uns aber über die Wirklichkeit der Ausbeutung bewusst werden.

Also müssen wir anfangen uns mit den richtigen Fragen zu beschäftigen. Mit den Fragen, die unser Leben hier betreffen. Die die Zeit, die uns hier zur Verfügung steht betreffen. Die Zeit die wir fast ausschließlich irgendeiner Autorität zur Verfügung stellen. Also lasst uns auf die Suche gehen, nach einem Weg, der einen Bruch in dieser Realität schaffen kann. Lasst uns versuchen diesen Bruch auszudehnen, um neue Formen des Lebens realisieren und soziale Experimente machen zu können. Auf dass das Hamsterrad der Routine endlich unterbrochen wird!


Wo sind die Jugendlichen?

Polemische Überlegungen

Auf der Demo gegen den 12-Stundentag, an der sich laut unterschiedlichen Meldungen über 100.000 Menschen beteiligt haben, soll sich folgende Geschichte ereignet haben.

Er ist ein älterer Herr und lebt sei Jahren in Wien. Er ist Grieche und nimmt zusammen mit seiner Tochter und deren Freunden an der Demonstration teil. Nach einiger Zeit fragt er seine BegleiterInnen: „Wo sind die Jugendlichen, die die Polizei mit Molotov-Cocktails angreifen? In Griechenland würde so etwas nicht passieren. Da würden die Leute auf die Straße gehen und die Polizei angreifen. Wer soll denn sonst Widerstand leisten gegen diese Dinge?“ Und was soll man dazu sagen? Er hat einfach recht…

Als mir diese Geschichte erzählt wurde, war ich beschämt, wie so oft, wenn es um die österreichische Mentalität von Lethargie, Feigheit und Pragmatismus geht. Denn ich frage mich auch, wo ist die rebellierende Jugend in Österreich? Ich kann sie nämlich nicht sehen! Ich sehe nur sich breit machende Selbstzufriedenheit und Konkurrenzkampf, um die besten Plätze im Kapitalismus. In ihrem Denken sind so viele, die eigentlich das Abenteuer der Jugend genießen sollten so konservativ, als wären sie schon in den 40ern, obwohl sie von ihrer äußerlichen Erscheinung eher aussehen, als würden sie noch in die Hosen scheißen. Es ist schwer vorstellbar, dass der von Konsum, smarter Kultur und Lifestyle geprägte Idealtyp des heutigen Jugendlichen zur Revolte fähig sein soll.

Vielleicht leben wir in einer umgedrehten Welt und die Verwirrung ist eine der gängigsten Taktiken des kapitalistischen Spektakels. Oder wie Guy Debord in der Gesellschaft des Spektakels schrieb: In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment des Falschen.“ Vielleicht ist ‚Dafür‘ das neue ‚Dagegen‘? Vielleicht ist die Anpassung der neue Widerstand? Nichts als ein weiterer Trend der die Leere des Lebens befüllen soll…


Beitrag zum Artikel „Über die Toleranz“ (Ausgabe Nummer 30, Juni 2018)

Nun finde ich ja viele Dinge, die in diesem Artikel stehen, richtig: Autorität, Herrschaft und Ausbeutung sind nicht zu tolerieren! Toleranz führt in diesen Verhältnissen zur Gewährleistung von Routine, Sicherheit, Arbeit und Konsum, aber keineswegs zu Freiheit! Toleranz ist ein schwammiger Begriff, der davon abhält sich positionieren zu müssen und Konflikte auszutragen. Jeder Form von Herrschaft gegenüber intolerant zu sein ist eine Notwendigkeit, um sich von der ganzen Scheiße zu befreien!

Die Intoleranz gegenüber den Verhältnissen beinhaltet aber nicht nur den Kampf gegen Regierungen, Politiker*innen, Konzerne etc. sondern auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, die von diesen Verhältnissen Tag für Tag beeinflusst sind. Ich greife das auf, weil solche Themen in dieser Zeitung leider nicht behandelt werden, es aber ein wichtiger Bestandteil einer widerständigen Praxis und unserer Leben ist. In engen zwischenmenschlichen Beziehungen, sprich Freund*innenschaften, Partner*innenschaften, Kompliz*innenschaften,… reicht ein „Anspruch von Solidarität und freier Vereinbarung“ nicht aus und „kompromisslose Kritik“ ist darin etwas giftiges. Wie soll man zusammen leben und kämpfen, wenn unsere engsten Menschen die ganze Zeit unsere kompromisslose Kritik fressen müssen? Ein rücksichtsvolles Miteinander kann so gar nicht zustandekommen. Ohne Toleranz gegenüber manchen Verhaltensweisen oder Eigenarten, die man selbst vielleicht nicht so gut findet, die aber von Menschen kommen, die man gern hat und mit denen man versucht eine widerständige, den Verhältnissen gegenüber intolerante Praxis zu haben, wird man wohl schnell alleine dastehen. Was viel wichtiger wäre, wie das auch propagiert wird, wäre Konflikte auszutragen, wenn es welche gibt. Aber im Gegensatz zu den Konflikten mit den Autoritäten zählt auf einer zwischenmenschlichen Ebene nicht nur das Austragen des Konflikts, sondern auch Lösungen zu finden. Das ist wichtig, um sich nicht voneinander wegzubewegen, und dafür muss man Kompromisse eingehen und irgendwo auch tolerant mit manchen Verhaltensweisen sein, sonst entstehen Hierarchien. Und wie soll man sich gut auf die Zerschlagung der Autoritäten konzentrieren, wenn die Verbindungen zu den engsten Menschen die man hat und mit denen man gemeinsam kämpft, instabil sind und sich alle alleine fühlen? In solchen Konflikten kann man sich sehrwohl bereits positioniert haben, aber so ein Konflikt kann auch nur gelöst werden, wenn man aufeinander eingeht und nicht kompromisslos auf der eigenen Position verharrt und einen Machtkampf austrägt, wer die besten Argumente hat!

Ein weiteres Beispiel: In dem Artikel „Improvisieren…“ in der selben Ausgabe redet ihr von „eine verbindliche, verlässliche Organisierung zwischen uns und anderen Unterdrückten ist unerlässlich.“ Um das alles ein bisschen zu verbinden: Denkt ihr, dass man sich mit den „anderen Unterdrückten“ organisieren kann, wenn man nicht tolerant ist? „Andere Unterdrückte“ ist ein sehr weitläufiger Begriff und weil es in dem Artikel um improvisieren geht, was ja eher etwas spontanes ist: Braucht
man da keine Toleranz, wenn man sich spontan mit „anderen Unterdrückten“ organisiert? Denn Solidarität ist meiner Meinung nach hier der falsche Begriff, wenn man sich im selben Kampf organisiert. Ich will jetzt auch keine Diskussion um „den kleinsten gemeinsamen Nenner“ aufmachen, aber wenn man sich mit anderen Leuten organisieren will – seien es engere Bekannte oder weitere Bekannte – dann kann definitiv nicht alles nur nach dem eigenen Schädl laufen! Wenn ihr dafür einen besseren Begriff habt, als Toleranz, dann bitte her damit! Ich wär froh drum, mir is noch nichts eingefallen!

Schlussendlich noch eine kleine Anmerkung zur „Intoleranz JEDER Form von Herrschaft“ gegenüber. Wenn solche Äußerungen immer wieder in einer Publikaiton fallen, dann ist es völlig intolerabel wenn dieses Thema und andere Themen (wie z.B. herrschaftliche Strukturen gegenüber nicht-männlichen Menschen) nicht behandelt werden. Das macht das Bild vom Kampf gegen jede Form von Herrschaft löchrig und blendet wichtige Aspekte aus! Und ich denke, dass wir in Zeiten der immer voranschreitenden Vereinzelung und Vereinsamung nur stark sein können, wenn solche Themen aufgegriffen, durchdacht und diskutiert werden! Und nicht durch das Fehlen solcher Themen potenzielle Kompliz*innen von Vorne herein ausgeschlossen werden und eventuell vereinzeln, weil die Bekämpfung ihrer Unterdrückung als etwas Unwichtigeres erscheint!


[Graz] Dunkle Zeiten an der Mur

Die Ablehnung des Profiteifers und der Unterdrückung, die sich am Bau des Murkraftwerks seit Anfang 2017 mit dem Widerstand gegen die Baumrodungen verdeutlichen, konnten weder durch die Repressionsfälle zerschlagen noch im Sog des Alltags befriedet werden. Immer wieder zeugen direkte Aktionen vom Kampf an der Mur – die dunkle Nacht wirft ihnen einen Mantel über, während bei Tageslicht ein Bild der Wut und Angriffslust zutage tritt.

Seitdem der Happeningcharakter der Aktivist_innengruppen abgeflaut ist und nur mehr müde Mahnwachen und Kreuze an den, teils abgeholzten, Bäumen vom breiten Protest berichten, haben sich Individuen und Gruppen dazu entschlossen ihren Kampf in der Nacht weiterzuführen. Daraus entstanden mehrere sichtbare Aktionen für Bewohner_innen, die oft nur wenige (verzerrte) Zeilen in den Mainstreammedien füllen. Wir wissen nur von einigen Anschlägen. Anscheinend gibt es eine Absprache dahingehend, den Protest (wie schon so oft) medial auszublenden, während mit Baggern und Kränen alles zu Baugebiet erklärt wird, was diese unter sich begraben können. Menschen, die an der Mur leben und wohnen, sind täglich Zeug_innen dieser Verwüstung und Landnahme.

Nach dem Farbanschlag im Februar, bei dem mit Lack gefüllte Christbaumkugeln einen Schaden von 80.000 Euro an einem Bagger verursacht haben sollen, durchdringen weiterhin Aktionen das Dickicht des Vertuschens und Verschweigens und gelangen an die Öffentlichkeit: Plakate, die die verantwortlichen Firmen auflisten oder die „grüne“ Energiegewinnung hinterfragen schmücken das Murufer seit geraumer Zeit. Mitte April lässt sich ein brennender Teleskopkran nicht mehr ignorieren. Passanten entdecken die ausgebrannte Baumaschine. An einer anderen Maschine findet die Polizei einen weiteren Brandsatz.

Zuletzt ging Ende April die Information herum, dass in Wien eine PORR-Baustelle sabotiert wurde, indem sich Farbe auf drei Baumaschinen verteilte und Zucker im Tank vermutlich für einen Motorschaden sorgte. Eine Aktion, die mit Gruß an Graz versehen war und Solidarität an die französische ZAD schickte. Beides Bauprojekte, die mit der Firma PORR abgewickelt werden.

Es scheint eine unausgesprochene Übereinkunft zu geben Aktionen nicht mit Bekennungen an die große Glocke zu hängen. Wie viele Aktionen es wohl sein mögen, die jede Nacht unter der medialen Wahrnehmungsgrenze passieren?

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