Die junge Frau rückt ihren Stuhl zurecht und blickt dem Richter ins Gesicht. «Und, wo würden Sie sagen, stehen Sie in der Hierarchie?», will dieser wissen. «Eher unten, oben oder im mittleren Bereich? Und wer hat denn gesagt, dass sie die Uniform tragen müssen?» «Niemand hat das befohlen. Das ist gemeinsam entschieden worden», entgegnet Denise Penbe (Name von der Redaktion geändert, Anm.). Die Staatsanwältin verzieht das Gesicht: «Sie haben dieselbe Uniform wie die Terroristen getragen! Und Bilder von denen wurden auch auf der Demo hochgehalten.» Da mischt sich Penbes Anwalt ein. «Ihnen ist schon klar, dass es dutzende Bilder zum Gedenken an Oppositionelle bei einem Mai-Aufmarsch in der Türkei gibt? Die meisten Bilder zeigen Opfer der Polizeigewalt bei den Gezi-Protesten oder politische Gefangene. Frau Penbe selbst hat keines davon getragen.»
Saal 203, Wiener Landesgericht für Strafsachen, Montagvormittag, 28. Mai: Eine junge Wienerin, Frau Penbe, soll «terroristische Straftaten gutgeheißen haben», so die Anklage. Am 1. Mai 2015 ist sie mit rund 50 weiteren Aktivist_innen aus dem Umfeld der Anatolischen Föderation rote Fahnen schwingend und in Formation am Wiener Ring marschiert – mit grünem Hemd, rotem Halstuch mit gelbem Stern und Kappe. So viel ist sicher. Was das Ziel des Umzugs gewesen sein soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Auf der Terrorliste.

Der Staatsanwaltschaft zufolge sei der Aufzug der Aktivist_innen der «typische Einheitskleidungstil der DHKP-C», Penbe habe daher deren Aktivitäten gewissermaßen ideell unterstützt. DHKP-C steht für Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi was zu Deutsch so viel wie Revolutionäre Volksbefreiungspartei/front bedeutet. Die im Jahr 1994 gegründete Organisation ist insbesondere durch ihre bewaffneten Angriffe auf staatliche Organe der Türkei bekannt geworden. Als im Juni 2015 zwei Männer im Namen der DHKP-C in Istanbul einen Staatsanwalt als Geisel nahmen und ihm vor laufender Kamera eine Waffe an die Schläfe hielten, gingen die Bilder davon um die Welt. Der betroffene Staatsanwalt leitete die Ermittlungen gegen Polizisten, die, zwei Jahre zuvor, am Rande der Gezi-Proteste, den 15-jährigen Berkin Elvan erschossen hatten. In der türkischen Öffentlichkeit war dem Staatsanwalt immer wieder vorgeworfen worden, seine schützende Hand über die Verantwortlichen zu halten. Die beiden Geiselnehmer forderten die Veröffentlichung der Namen der Todesschützen. Als polizeiliche Spezialeinheiten die Aktion blutig beendeten, starben sowohl die Geiselnehmer als auch die Geisel. Wer wen erschossen hat, ist bis heute umstritten.
Die DHKP-C wird bereits seit 2001 auf der EU-Terrorliste geführt. Damit ist es auch in Österreich strafbar, ihr Mitglied zu sein. Aber ist es ausreichend, uniformiert durch Wien zu marschieren, um für den bewaffneten Kampf in der Türkei verantwortlich gemacht zu werden?

Im Visier der Behörden.

Denise Penbe ging es mit ihrer Teilnahme an der Demonstration am 1. Mai 2015 «um die Errungenschaften der Arbeiterklasse, um Solidarität. Dafür zu demonstrieren, ist unser lange erkämpftes Recht», erzählt sie im Interview. Mit der Uniformierung könne man Aufmerksamkeit für die Verbrechen des türkischen Regimes schaffen. In der Türkei herrsche keine Demokratie, die Opposition wurde einfach ausgeschaltet.
Anfang 2016 wurde Penbe dann zur Polizei vorgeladen. «Erstmal war es natürlich ein Schock, mit dem Verfassungsschutz konfrontiert zu sein», erzählt die junge Frau. Mindestens 15, damals zum Teil noch minderjährige, Demoteilnehmer_innen müssen sich jetzt wegen «der Gutheißung terroristischer Straftaten» nach Paragraf 282a vor dem Strafgericht verantworten. «Ich wollte natürlich in keiner Weise Straftaten unterstützen. Gewalt lehne ich ab», beteuert Penbe vor Gericht.
Gelassener gibt sich Hatime A. Die aufgeweckte Frau ist im Vereinsvorstand der Anatolischen Förderation, einem in Wien ansässigen, türkisch-österreichischen Kulturverein. Im Vereinslokal im 15. Bezirk sitzt sie neben ihren Kolleg_innen und nippt an ihrem Tee. An der Wand hängen Bilder von Che Guevara und anderen Polit-Ikonen. Hatime A. ist in den späten 1990er-Jahren wegen der politischen Aktivitäten ihrer Schwester ins Visier der Strafverfolgung der Türkei geraten und musste das Land verlassen. In Österreich angekommen, hat sie die Anatolische Föderation mitaufgebaut.

Wenn sich Migrant_innen organisieren.

Hatime A. wird unter anderem die Organisation des 1.-Mai-Aufmarsches zur Last gelegt. Neben den Anklagen nach Paragraf 282a ist der gesamte Vereinsvorstand wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 278b angeklagt. Die sechs Vereinsfunktionäre hätten «für die Öffentlichkeit wahrnehmbare Propagandahandlungen zur Unterstützung der DHKP-C organisiert», lautet der Vorwurf. Der 1. Mai 2015 ist aber nur einer der Vorwürfe: Über den Verein soll auch die DHKP-C-nahe Wochenzeitung Yürüyüs vertrieben und sollen Gedenkveranstaltungen für Opfer des türkischen Regimes, darunter die beiden Geiselnehmer des Staatsanwaltes, organisiert worden sein. Hatime A. schüttelt den Kopf: «Wir gedenken aller Antifaschisten, die vom faschistischen Erdoğan-Regime ermordet worden sind», so die Frau. «Das ist freie Meinungsäußerung.»
«Die Regierung sieht es einfach nicht gerne, wenn sich Migranten organisieren», ist sich Denise Penbe sicher. «Dabei kämpfen wir nur für unsere Rechte in Österreich.»

Kritik an Paragraf 278b.

Bei einer Verurteilung wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation drohen bis zu zehn Jahre Haft. Der Vorstand des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) Oliver Scheiber warnt vor der leichtfertigen Anwendung des Terrorparagraphen 278b: «Insbesondere muss man sehr darauf achten, kein politisches Engagement für berechtigte Anliegen, wie das der türkischen Opposition, unmöglich zu machen.»
Noch schärfer kritisiert Johannes Jarolim, der Justizsprecher der SPÖ, die Anwendung des Terrorparagraphen. Der Passus sei eigentlich als Organisationsdelikt gegen bevorstehende schwere Straftaten, wie etwa Anschläge, eingeführt worden. «Nicht als Hilfsmittel zur Strafverfolgung, wenn sonst keine Delikte vorliegen», so der Jurist. Die Planung von Gewalttaten oder gar bewaffnete Aktivitäten im Stil der DHKP-C wird den Wiener Angeklagten tatsächlich nicht vorgeworfen. Alle angelasteten Handlungen hat die Anatolische Föderation offen angekündigt und zum Teil sogar polizeilich angemeldet – wie etwa ein multikulturelles Fußballmatch in Neunkirchen, das der Staatsanwaltschaft Wien zufolge zur Finanzierung der DHKP-C gedient haben soll. Woher diese Annahme stammt, bleibt selbst die Anklageschrift schuldig.
Jarolim meint auch, es sei bekannt, dass der türkische Präsident Erdoğan die EU-Terrorliste missbrauche, um gegen ihn gerichtete Stimmen, auch außerhalb der Türkei, verfolgen zu lassen. Unmittelbar mit Erstarken der AKP ließ die Türkei die Arbeiterpartei Kurdistans PKK und die DHKP-C auf die europäische Terrorliste setzen.
Die belgische Justiz hingegen bezeichnet der SPÖ-Justizsprecher als «Vorbild». Letztes Jahr hatte dort ein Höchstgericht geurteilt, dass die PKK in Belgien nicht verfolgt werden dürfe. Sie sei nicht als Terrororganisation, sondern als Kriegspartei in einem bewaffneten Konflikt zu behandeln.
Ein erstes Urteil. Im Landesgericht in Wien erheben sich Denise Penbe sowie das Publikum, von ihren Holzbänken. Der Richter verliest in verklausuliertem Juristendeutsch den Urteilsspruch: «Frau Denise Penbe, geboren in Wien, wird vorgeworfen, sich am 1. Mai 2015 durch Tragen der DHKP-C Uniform, nach Paragraf 282a, der Gutheißung terroristischer Straftaten, schuldig gemacht zu haben.» Spannung liegt in der Luft, die versammelte Menge folgt dem Richterspruch konzentriert. Denise Penbe steht dem Richter aufrecht und gefasst gegenüber. «Penbe wird, im Sinne der Anklage, für nicht schuldig befunden.» Erleichtert lässt sie die Schultern fallen. Auch in den Gesichtern der Angehörigen im Publikum löst sich sichtlich die Spannung.
Penbe habe glaubhaft vermittelt, so der Richter, dass es ihr in erster Linie daran gelegen sei, für die Türkei einen Rechtsstaat einzufordern. Für die junge Frau ein Erfolg, auch wenn die Staatsanwältin sofort Berufung gegen den Freispruch einlegt.
Hatime A. und ihren Kolleg_innen vom Kulturverein steht der Prozess noch bevor. Während sie die leeren Teegläser der im Vereinslokal plaudernden Leute einsammelt, kommentiert sie das bevorstehende Gerichtsverfahren: «Das passiert einem überall, wenn man sich antifaschistisch positioniert.»