[Russland] Victor Filinkov im Prozess des Network-Falls: „Es ist, als würdest du verschwinden, nur der Schmerz bleibt.“

Quelle: anarchists worldwide, übersetzt von abc wien

Viktor Filinkow: Als ich gefoltert wurde . . . Nun, ich war natürlich nicht darauf vorbereitet. Es war nicht wie in den Filmen. Es war keine Zeit, um nachzudenken oder zu lachen, wie es manche Superheld*innen tun oder so was ähnliches: Man schreit einfach vor Schmerz. Man ist in einem schrecklichen Zustand. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares erlebt.

Ja, ich habe schon mal einen Stromschlag bekommen, als ich eine Steckdose oder ein Telefonkabel berührte, oder als ich an einer Batterie leckte. Aber ein Elektroschocker ist ein ganz anderes Gefühl. Sie haben mich gleichzeitig geschlagen, aber ich habe es überhaupt nicht gespürt, abgesehen von den Schlägen auf den Kopf. Als sie mich auf den Kopf schlugen, wurde meine Sicht weiß. Meine Augen waren meistens geschlossen, weil eine Kappe über mein Gesicht gezogen war, aber ich sah weiß, als sie mich am Kopf schlugen.

Als sie meine Arme verdrehten oder so etwas, fühlte ich überhaupt nichts. Andererseits, wenn man dagegen auf dem Rücksitz eines Autos sitzt und die Hände hinter dem Rücken gefesselt sind – wie damals, als ich zu einem Psychologen gebracht wurde – fangen die Schultern und Gelenke nach der ersten Stunde oder so richtig an weh zu tun. In der zweiten Stunde ist es völlig unerträglich. Man zappelt und zappelt die ganze Zeit, weil die Schmerzen so unerträglich sind.

Ich wurde etwa vier Stunden lang gefoltert, und obwohl meine Hände die ganze Zeit hinter dem Rücken gefesselt waren, spürte ich in meinen Schultern keinerlei Schmerz. Tatsächlich fühlte ich überhaupt keine Schmerzen, da mein ganzer Körper schmerzte. Wenn der ganze Körper schmerzt, kann man nicht einen bestimmten Teil ausmachen, der mehr schmerzt. Die Verbrennungen durch die Elektroschocks taten nicht weh – sie schmerzen erst am nächsten Tag oder so, der Schmerz breitet sich über den ganzen Körper aus. Es fühlt sich an, als ob alles wehtut, obwohl sie einen an ganz bestimmten Stellen schlagen und Stromschläge setzen.

Ich weiß nicht einmal, wo die Stromschläge am meisten wehtun. Es waren verschiedene Stellen, vor allem an den Füßen, die Stromschläge an meinen Füßen waren am längsten. Und auch auf die Brust. Ich konnte meine Handgelenke verdrehen und meinen Nacken ein wenig bewegen, aber ich glaube, es war egal, wo sie mich trafen: die Stromschläge waren ziemlich schmerzhaft. Wenn sie den Elektroschocker an den Fuß drücken, ist es, als ob man sich völlig verliert. Es ist, als ob man verschwindet – nur der Schmerz bleibt.

Aufnahmetechniker Volkov: Vielleicht könnten Sie über etwas Angenehmeres sprechen.

Filinkov (lächelt): Es war nichts Angenehmes dabei.

Volkov: Nicht unbedingt dieser Fall. Vielleicht einige denkwürdige Fälle aus der Kindheit.

Filinkov: Hmm… Erinnerungswerte Beispiele aus der Kindheit. Es hängt davon ab, was Sie mit Kindheit meinen.

Volkov: Okay, was vermissen Sie im Moment?

Filinkov: Meine Frau – ich vermisse meine Frau sehr. Ich liebe sie sehr. Als sie mich gefoltert haben, fragte mich ein Außendienstmitarbeiter, warum ich mit meiner Frau zusammen bin. Ich schrie, dass ich sie liebte. Sie gaben mir Stromschläge, aber ich schrie, dass ich sie immer noch liebte. Sie schrien mich an: „Warum bist du mit ihr zusammen? Gestehe!“ Ich schrie wieder, dass ich sie liebe, und sie gaben mir weiter Stromschläge, als ich das sagte. Das ging eine Weile so. Es war wahrscheinlich einer der demütigendsten Teile des Ganzen.

Nein, es gab noch einen anderen. Sie fragten mich, mit wem meine Frau etwas zu tun habe – und ich versuchte mich zu erinnern, mit wem sie etwas zu tun hatte. Ich antwortete, dass sie viele Bekannte hatte, ich aber nicht wusste, mit wem sie in Verbindung stand. Ich kannte nicht so viele Leute, vor allem nicht die Bekannten meiner Frau. Und sie sagten zu mir: „Sie wird gefickt. Wusstest du das nicht?“ Die ganze Sache war einfach schrecklich. Und es gab viele Fragen wie diese… Offenbar war es ein Weg, mich zu brechen.

Es war auch ein Weg, mich gegen alle zu wenden. Man merkt, dass die Leute, die einen quälen, die Schuldigen sind, aber sie versuchen, die Schuld auf jemand anderen zu schieben. So erzählten sie mir von meinem „Freund“ Bojarschinow: Ich wusste damals nicht, wer Bojarschinow war. Sie sagten: „Dieser Yuri“, und versuchten zu erklären, dass er eine Bombe legen wollte, um Menschen zu töten. Unter diesen Umständen glaubte ich wirklich, dass „Yuri“ (Yuli) Bojarschinow eine Bombe legte. Sie waren wirklich überzeugend.

Sie sagten mir auch, dass andere Leute Menschen töten wollten. So wie Arman Sagynbajew: Sie sagten, er wolle einen Sprengstoff namens Ammonal herstellen. Sie wussten, dass ich nicht wusste, dass er die Zutaten hatte, aber ich wollte ihnen eine Lektion erteilen. Dann habe ich ein wenig geschummelt: Als sie mich fragten, was sie in Sagynbajews Schrank gefunden hätten, sagte ich, sie hätten nur Aluminiumpulver gefunden. Sie gaben nicht an, dass ich auch sagen sollte, dass es dort auch Salpeter gegeben habe. Sie sagten immer wieder: „Ein Fass! Ein Fass mit Pulver!“ Die Tatsache, dass es sich um ein Fass handelte, war anscheinend wichtig. Ich habe es nie gesehen.

Sie sagten natürlich auch, dass alle bereit seien, mich zu verpfeifen, und sagten mir, was passieren würde, wenn ich den Verhörbericht nicht unterschreibe.

Tatsächlich waren ihre Drohungen völlig bedeutungslos. Ich war nach zehn Minuten Folter völlig gebrochen, aber die Drohungen dauerten noch weitere zwanzig oder fünfundzwanzig Stunden oder wie lange ich auch immer dort war. Es war eine sehr lange Zeit. All die Drohungen – dass sie mich dort töten oder in eine Zelle würden mit tuberkulosekranken Gefangenen stecken würden oder dass das SWAT-Team mich nach Penza bringen würde – waren sinnlos.

Die Sache mit dem SWAT-Team war ein Trick. Sie sagten mir, dass mich ein SWAT-Team nach Penza bringen würde, zu einer Gegenüberstellung. Alle [der anderen Angeklagten] würden mich identifizieren, mit dem Finger auf mich zeigen, und dann würde ich [nach Petersburg] zurückgehen. Außer dem Fahrer befanden sich zwei SWAT-Beamte im Fahrzeug. Sie würden abwechselnd schlafen, aber ich würde nicht schlafen können, und es gäbe kein Wasser. Die FSB-Agenten fragten sich laut, wie lange eine Person ohne Wasser auskommen könnte. Die ganze Sache war völlig sinnlos. Ich hätte den Verhörbericht auf jeden Fall unterschrieben.

Es war nicht so, dass sie sagten: „Hier, unterschreib“, und ich sagte: „Nein, ich werde nicht unterschreiben. Fahr zur Hölle!“ und sie sagten: „Ach ja? Wir werden es dir zeigen.“ Es war nur der Auftakt zu allem, was sie taten. Nur ein Vorspiel. Gewalt ist anscheinend die Grundlage ihrer Arbeit. Später erfuhr ich, dass die maskierten Männer vom „Ave“ SWAT-Team des FSB waren. Wenn sie jemanden in Handschellen begleiten, ziehen sie ihn in verschiedene Richtungen. Ich sagte: „Stopp! Sie schleifen mich in verschiedene Richtungen. Ich verstehe nicht, wohin ich gehen soll.“ Sie lachten und sagten, dass es mir recht geschieht. Das heißt, die Gewalt war um ihrer selbst willen. Und keiner von ihnen war damals über das Geschehene beunruhigt.

Wenn ich versuchte, über die Tatsache zu sprechen, dass Folter unmenschlich war, unterbrachen sie mich und sagten: „Hat dich wirklich jemand gefoltert? Du hast dich selbst im Auto gestoßen.“ Verschiedene Außendienstmitarbeiter*innen, die dort waren, sagten dies vor den Ermittler*innen. Derjenige, an den ich mich am meisten erinnerte, war ein Ermittler namens Alexej aus dem zweiten Stock des FSB-Regionalhauptquartiers [in Petersburg]. Er trug eine Jacke und Hosenträger.

Die Jacke war hellgrün. Er gab mir Toilettenpapier, wenn ich auf die Toilette ging. Ich ging natürlich nicht auf die Toilette, um auf die Toilette zu gehen. Ich dachte darüber nach, wie ich meinem Leiden ein Ende setzen könnte, und dachte darüber nach, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Aber das Büro war gleich da, und ein Agent folgte mir immer nach draußen und stand an der Tür, die nicht geschlossen werden konnte. Ich ging mehrere Male dorthin und hoffte, dass sie ihre Wachsamkeit ablegen würden, aber nein: Es war immer ein Agent vor der Tür, und ich hätte weder den Spiegel noch die Toilette zerbrechen können.

Hätte ich gewusst, dass ich eine angespitzte Münze in der Tasche hatte, aber ich hatte sie vergessen. Sie hat es durch mehrere Abtastungen geschafft. Das SWAT-Team hat mich zweimal abgetastet und sie nicht gefunden. Dann hat mich ein Ermittler durchsucht und sie nicht gefunden. Dann wurde ich in der provisorischen Haftanstalt in der Zakharyevskaya-Straße [in Petersburg] durchsucht, und sie fanden die Münze nicht. Sie wurde nur im Untersuchungsgefängnis Nr. 3 gefunden. Sie beschlossen, sie in die Kasse zu legen, aber es war eine ukrainische Griwna-Münze. Sie fragten mich, was sie damit tun sollten, und ich sagte ihnen, sie sollen sie wegwerfen.

„Gut, gut, aber sagen Sie es niemandem“, sagten sie. Und sie warfen sie weg.

Volkov: Das ist genug, danke.

Richter Muranov: Ist das alles?

Volkov: Ja.

Richter: Also, Viktor Sergejewitsch, ich habe Sie nicht unterbrochen, als Sie Ihren Monolog gehalten haben, aber jetzt gebe ich Ihnen eine offizielle Verwarnung. Wenn Sie sich im Gerichtssaal erneut obszöner Sprache bedienen, werden Sie bis zu den Schlussplädoyers entfernt. Habe ich mich klar ausgedrückt?

Filinkov: Ja, das haben Sie. Darf ich eine Frage stellen?

Richter: Fragen Sie ruhig.

Filinkov: Wie soll ich obszöne Sprache zitieren?

Richter: Ich weiß es nicht, aber ich möchte Sie bitten, keine obszönen Ausdrücke zu verwenden. Ich habe Ihnen eine offizielle Warnung gegeben, die in das Protokoll aufgenommen wurde.

Filinkov: Verstanden.

Richter: Setzen Sie sich.

Richter: Maxim Alexandrovich, sind Sie fertig?

Volkow: Ich möchte mir buchstäblich eine Minute Zeit nehmen, um die Qualität der Aufnahme zu überprüfen . . . Die Aufnahme ist in Ordnung.

-->