Randale 42. Jahrestag Polytechnio + Interview N. Romanos

(gefunden auf: linksunten.indymedia.org)

PolytechnioAuszüge aus einem Interview mit Nikos Romanos, welches im Sommer 2015 auf mehreren englischsprachigen Blogs veröffentlicht wurde. Nikos Romanos war ein typischer Teenager, ein guter Schüler aus dem Bürgertum, Sohn eines bekannten Schriftstellers, bis er am 6. Dezember 2008 in ein traumatisches Ereignis verwickelt wurde. Sein bester Freund, Alexandros Grigoropoulos (15), fiel durch die Schüsse der Polizei in den Straßen von Athen. Ins Herz getroffen starb Alexis in seinen Armen. Dieses Ereignis führte zu den intensivsten städtischen Auseinandersetzungen des 21. Jahrhunderts in der westlichen Welt und Nikos war von Anfang an in der Frontlinie, wütend und respektiert von GenossInnen trotz seines jungen Alters.

Im Rhythmus der Gegenreaktionen der anarchistischen Bewegung in Griechenland, änderte sich für Nikos alles durch diese Erfahrung, sofort stürzte er sich in die Auseinandersetzungen, bis zu seiner Verhaftung am 2. Februar 2013, nach einem doppelten Raubüberfall in Kozani. Gefoltert, beschuldigt und verurteilt der Mitgliedschaft in der Verschwörung der Feuerzellen, was er bestreitet, während er für die Banküberfälle die Verantwortung übernimmt – und für ihre Notwendigkeit Anarchie zu verbreiten – in einer konfrontativen Haltung gegenüber der Justiz, ebenso wie seine Mitangeklagten Giannis Michailidis, Dimitris Politis, Andreas Dimitris Bourzoukos, Argyris Dalios und Fivos Charisis. Im Oktober 2014 wurden sie alle zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt.

(…)F.: „Wie beurteilst du die Haltung der neuen SYRIZA Regierung?“

N.R.: „Von Anfang an war SYRIZA eine feindliche Einrichtung, lange bevor sie zur Regierung wurden. Ihre Aufgabe war, soziale Spannungen zu absorbieren, politisches Kapital aus der Teilnahme an Zwischenstadien sozialer Kämpfe zu erlangen, in dem sie sich als deren institutioneller Arm präsentieren, Aufstandsbekämpfung zu praktizieren in dem sie die Konfrontationsfelder von der Straße in bürgerlich-demokratische Politik transferieren.

Mit wenigen Worten, sie verkörpern auf perfekte Weise die wichtige politische Rolle des Reformismus. Zudem hat Tsipras, bevor er Premierminister wurde erklärt, dass ohne SYRIZA mehr Unruhen und Ausschreitungen in Griechenland in den Jahren der Anti-Regierungs Demonstrationen gewesen wären. Das zeigt, dass die Implementierung einer links politischen Agenda in der Opposition, neben anderen Sachen, eine politische Strategie war, um sozialen Frieden zu sichern und den beschädigten Sozialvertrag auf neuer Basis wieder aufzubauen.

Die Demokratie verbirgt viele Asse im Ärmel um den sozialen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten und eine ihrer Waffen in diesem Arsenal ist der schnelle Wechsel von Rollen auf der politischen Bühne, das neu mischen der Beteiligten und die Assimilation von gegen sie gerichteten, radikalen Vorschlägen.

Um auf die Gegenwart zu kommen, nach dem Aufstieg von SYRIZA zur Macht gibt es strukturelle Wechsel in der Rhetorik und große interne Widersprüche. Natürlich, trotz all ihrer Widersprüche zwingt ihre Realität uns die Typ – C Knäste auf, die weiterhin existieren. Seitdem sind Fahrzeuge der Spezialeinheiten vor dem Domokos Knast stationiert und die Schließer halten immer noch GenossInnen gefangen und weiterhin werden MigrantInnen mit Nummern markiert bevor sie in Konzentrationslager geschickt werden. Weiterhin, die Erstürmung von besetzten Räumen, Folter an Hungerstreikenden, ihre Verantwortung für die rachsüchtige Geiselnahme von Verwandten und Partnerinnen der Mitglieder der Feuerzellen.

(…)

SYRIZA behält alle geopolitischen, ökonomischen und militärischen Vereinbarungen bei, die zu einem Staat der kapitalistischen Einflusszone gehören, während sie zur selben Zeit Sand in die Augen linker WählerInnen streuen, indem sie einige mottenzerfressenen, bürokratische Offizielle vor schicken, die eine linke Rhetorik betreiben.

Aus unserer Perspektive, der Tatsache das wir AnarchistInnen sind, bedeutet das, selbst wenn SYRIZA wirklich eine linke Regierung mit radikaler Politik wäre, wären wir gegen sie – ohne jede Absicht einen Waffenstillstand mit diesen ausgebildeten Zauberern der Illusion und organisierten Unterdrückung zu schließen. Und im Gegensatz zum neo-kommunistischen Brand, der einige anarchistische Kreise infiziert, haben wir vor langer Zeit die Nabelschnur der Anarchie mit der Linken durchtrennt.

Daher ist SYRIZA eine sozialdemokratische Regierung mit pseudo-radikaler Rhetorik, die ein linkes Profil ausnutzt um Kontrolle und Einfluss über Bewegungen und subversive Projekte zu erlangen, die sich potentiell gegen sie wenden könnten. Und nicht zu vergessen, hat historisch gesehen, die politische Repräsentation des Kapitalismus durch sozialistische Gestaltung die ökonomisch härtesten und repressivsten Maßnahmen bedeutet, unter Ausnutzung des endlosen und schuldhaften Schlafes der gesellschaftlichen Mehrheit.

Am ärgerlichsten für unsere Kreise sind einige Clowns, die vorgeben Anarchisten zu sein und die Dreistigkeit besitzen, Mitglieder von SYRIZA in „soziale Zentren“ (nicht übersetzbar, könnte auch heißen: Zentren für eine SYRIZA-Gesellschaft) einzuladen und mit ihnen tiefgreifende, ideologische Angelegenheiten zu diskutieren und damit eine Auffassung verbreiten, die SYRIZA schönfärbt – also die Administratoren des Staates.

Ein trauriger Gedankenweg, ähnlich dem, die Faschisten von Chrisi Avgi zu erziehen zu wollen – als ob unsere Unvereinbarkeit in der Sache mit den Faschisten oder Managern der staatlichen Maschinerie mit diesen diskutierbar wäre, statt sie anzugreifen wo immer wir sie finden. All das könnte eine schöne literarische Unterhaltung sein für jene, die an Demokratie und deren Ideale glauben, auf rosa Wolken schlafen und von einer post-kapitalistischen Gesellschaft träumen – abgesehen von der Tatsache, dass AnarchistInnen sich im Krieg mit der Demokratie und ihren Exponenten befinden.

(…)

Wir stehen zu all denen, die FreundInnen der anarchistischen Revolte bleiben und immer noch darauf bestehen Molotov Cocktails auf Bullen in Exarchia zu werfen, die auf Demonstrationen gehen um Repräsentationen der Herrschaft zu verwüsten, die ihre Gedanken mit subversiven Plänen und ihre Hände mit Feuer bewaffnen um die Strukturen der neuen Ordnung zu verbrennen. Zu allen, die ihre Taten durch informelle anarchistische Netzwerke organisieren, in denen destruktive Absichten horizontal und informell geteilt werden, in einer chaotischen Front, die zum Angriff geht und dabei auf Personen und Infrastrukturen zielt, die diese kranke Welt, die uns umgibt, steuern und verteidigen.“

F.: „Welchen Platz hat deiner Meinung nach die Gewalt in der anarchistischen Bewegung?“

N.R.: „Wieder einmal haben wir kürzlich einen Wendepunkt in einem historischen Prozess erreicht. Ein bankrotter griechischer Kapitalismus muss, wenn auch unbeständig, die EU und die globale Wirtschaft beliefern. Und die Realität ist, es wird so weitergehen, unabhängig von seinen politischen Managern. Die Grenzen von Griechenland und Italien, als die ersten Anlaufpunkte der Migration aus Kriegsgebieten, sind getränkt vom Blut der Flüchtlinge.

Transnationale Rivalitäten zwischen mächtigen Staaten nehmen zu und Konflikte mit geopolitischen Interessen verursachen Ausbrüche von Unruhen in vielen Teilen der Welt. Für AnarchistInnen sind Instabilität und sich verschlimmernde, systemische Gewalt in einem diffusen Spektrum ausbeuterischer, sozialer Beziehungen, eine Herausforderung sich effektiv zu organisieren um ein stark destabilisierender Faktor der Normalität zu werden. Für einen anarchistischen Gegenschlag, gegen die Welt der Autorität, der Wirtschaftswissenschaftler, der Politiker, der Bullen, Faschisten, Journalisten, Forscher, Offiziere, Manager und Angestellten der Konzerne, Justizangestellten, Knastdirektoren, Banker, den Bürgerwehren und ihren Dienern.

Mit all diesen Schweinen konfrontiert, die das Herz der kapitalistischen Maschine sind, welche im Rhythmus der gesellschaftlichen Mehrheit schlägt ( die entweder aus Gleichgültig, Angst oder Komplizenschaft sich am Schutz des Herzens der Bestie beteiligen), antwortet die Anarchie mit der Sprache der absoluten Gewalt, Feuer, Explosionen, bewaffneten Aufständen. Unter dieser Voraussetzung entwickeln wir unsere Strategien, beschließen zu rebellieren und uns am Kampf für die totale Befreiung zu beteiligen. Eine Revolte in der Gegenwart wird alles vereinen, sie wird mit in der revolutionären Gemeinschaft echte menschliche Beziehungen hervor bringen und wissen wie sie ihre Angriffe organisiert.

Auf diese Weise werden noch unbekannte Wege zur Freiheit entdeckt werden, die uns eine Existenz und ein Leben ohne den Erhalt und das Erteilen von Anweisungen ermöglichen, ohne zu gehorchen, ohne zu kriechen, aber auf einzigartige Weise eine neue Wirklichkeit in den kapitalistischen Zentren zu kreieren – eine Zeit der Angst für die Herrschenden und ihre Untergebenen, der Beginn unserer Ära, bis zum Ende. So ist Platz der organisierten, revolutionären Gewalt innerhalb der anarchistischen Bewegung das entscheidende, die Antriebskraft für die qualitative Entwicklung eines inneren Feindes, der Alpträume für Autoritäten und Bosse verursachen wird.

(…)

Aus meiner Sicht wird eine freie Menschlichkeit auftauchen, wo gesellschaftliche Identitäten und ihre Besitztümer zusammen brechen, an dem Punkt wo die individuelle Entscheidung für Freiheit eine einzigartige Identität schaffen wird: die aufständische und umstürzlerische, die mit allen nötigen Mitteln die Feinde der Freiheit angreift.“

42. Jahrestag des Aufstand im Polytechnio

Videos aus Exarchia: 

https://www.youtube.com/watch?v=jJd84jefuIM

https://www.youtube.com/watch?v=-VKByIjO16U

Das jährliche Ritual verliert zunehmend an Bedeutung, deutlich geringer war die Beteiligung an den Veranstaltungen auf dem Gelände des Polytechnio im Vorfeld der Demonstration. Die anarchistische Präsenz ist weniger sichtbar, was auch daran liegt, dass dieses Datum von linken Gruppen dominiert wird und immer noch Vertreter des Staates an der morgendlichen Zeremonie vor dem 1973 von Panzern eingedrückten Tor Blumen ablegen.

Die Demonstration von linken Spinnern und linksradikalen, trotzkistischen und undogmatischen Gruppen zur US Botschaft verlief so friedlich wie noch nie.

Nach dem Amoklauf von DELTA Staffeln vor genau einem Jahr war Exarchia während der Demonstration menschenleer, die meisten Bars geschlossen. Aktuell werden keine DELTAS mehr gesichtet, scheinbar hat Syriza doch die Einheit aus dem Verkehr gezogen und das Personal auf andere Einheiten verteilt.

Den Bullen war anscheinend ein Deeskalationskonzept verordnet, trotzdem konnten sie sich die Symbolik nicht verkneifen und besetzten nach dem Abmarsch der letzten DemonstrantInnen die Zugänge zum Polytechnio, auch auf der Stournari Straße, die direkt aus dem Herzen Exarchias kommt.

Hier trafen sich nach dem Ende der Demonstration vielleicht 500 Menschen und griffen über mehrere Stunden die Bullenabsperrungen an. Nach dem die schwächeren YMET Bullen gegen MAT gewechselt wurden, gelang es auch diesen nicht bis ins Viertel vorzudringen, bzw. die Syriza Anordnung sah wohl eine totale Invasion nicht vor. Zwischendurch wurde ein Supermarkt geplündert und nach dem Abzug der Pressevertreter gegen 02 Uhr morgens wurde von Bullen noch massiv Gas ins Viertel geworfen.

Die Auseinandersetzungen wurden von wesentlich mehr Menschen getragen als in den letzten Jahren, unter den wohlwollenden Blicken älterer AnwohnerInnen, die sich an das Massaker von 1973 noch gut erinnern können

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