[Deutschland] Solidarität mit Lina, ein Jahr nach ihrer Entführung durch die Bullen

quelle: de.indymedia.org

Am 5. November 2020 wurde Lina von der Polizei entführt und in Untersuchungshaft gesperrt. Ihr wird die Bildung und Mitgliedschaft in einer krimminellen Vereinigung vorgeworfen. Ihre Kriminialisierung wird mit dem § 129 StGB begründet. Ein Paragraph der ein Stützpfeiler der Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen des deutschen Staates darstellt undd in der Öffentlichkeit als Teil der Anti-Terror-Gesetzgebung bekannt ist.

 

Die aktuellen §129 Fälle eint, dass hier nicht nur Aktionen kriminalisiert werden, sondern auch politische Verbindungen, geteilte Ideen und Solidarität. So können Personen, die sich selber nicht als Gruppe definieren, durch den Staat in eine konstruierte Vereinigung gezwungen werden, nur weil sie politische Ideale teilen. Konstruierte Vereinigungen, die als Einfallstor für repressive Angriffe in die intimsten Lebensbereich diene; welche ein kollektives und individuelles Privatleben zerstören sollen. Eine Attacke gegen jene, die als Gefahr für den Status Quo darstellen.

Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachung, Observationen, Untersuchungshaft…Welches Interesse hat der Staat am Privatleben einer Antifaschistin? Wohin gehen die ermittelten Informationen? Ohne in die rechtlichen Details zu gehen, wollen wir feststellen, das es interessant ist, das der Vorwurf von Attacken gegen Nazis, zur Konstruktion einer kriminellen Vereinigung führt, welche „den Bestand und die Sicherheit des deutschen Staates gefährdet“. Was für ein Staat wird hier gefährdet? Die Sicherheit welcher Ideale wird hier angegriffen? Hier wird nicht der einzelne Fall verhandelt, hier geht es nicht mal um die Angeklagten und ihre angeblichen Taten. Sie und ihre Anwälte sind gezwungene Statisten, in diesem Theaterstück in dem Bundesanwaltschaft und Richter die Hoheit des Nationalstaates reproduzieren, nicht nur einzelne Menschen angreifen, sondern die Idee eine andere Welt sei möglich, in der Banalität und Grausamkeit des Strafprozesses zu begraben suchen.

Dies ist ein weiterer Fall in dem der deutsche staat und sein richtender Repressionsapparat klar zeigen, dass es innerhalb seiner Grenzen keinen Platz gibt für anti-autoritäre Praxis, sei diese antifaschistisch, anarchistisch, militant oder aktionistisch, weiß oder migrantisch, oder auch reformistisch. Denn die Zentralisierung der Autorität ist die Wurzel dieses kapitalistischeen Monsters. Jede Idee oder politische Praxis die sich dem richtenden Repressionsapparat entgegesetzt, wird automatisch kriminalisiert werden. Um durch die Demonisierung derjeniegen die sich selbstorganisieren und verteidigien, die Anwendung von Folter in allen ihren Formen gegen jene zu rechtfertigen, die auf verschiedenste Arten und Weisen dieses System der Ungleichheiten und Unterdrückung bekämpfen. Deswegen verstehen wir die Anwendung des § 129 immer als strukturellen Angriff. Wir dürfen niemals die faulen Ausreden glauben, dass es nur Einzelne traf, weil „ihre Ideen zu radikal waren“, „weil sie gewalttätig sind“, „weil sie einer Terrororganisation in den Bergen Kurdistans angehören“. Es gibt keine individuellen Gründe für die Anwendung der Repression gegen Antiautoritäre und Revolutionäre, es gibt keine Einordnungen der Einzelfälle, sondern nur nackte und konsequente staatliche Verfolgung.

Verfolgung, die sich als objektiv und gerecht verkleidet und die von sich sagt, gegen den „Extremismus“ zu verteidigen. Aber wir wissen, dass Behörden, Polizei und Nazis zusammenarbeiten um ein rassistisches Ideal der deutschen nation zu erhalten. Wir fragen uns nicht „Wo wart ihr in Hanau?“ Wir wissen wo sie waren und wollen ihre Präsenz nicht, die heute als Soko Linx in Erscheinung tritt. Aus der tiefsten Ablehnung dieses Bündnisses, speißt sich unsere Solidarität als Feministinnen und Antikolonialistinnen.

Solidarität

Wir müssen uns ein und für alle Mal von der Idee des Nationalstaates distanzieren. Wir müssen verstehen, dass diese nur durch jene ermöglich wird, die dessen patriarchalen und rassistischen Ideale verfolgen und sich dessen Handlungsweisen unterwerfen: Mit anderen Worten, durch seine Bürger. Es ist im nicht-bürger-sein in dem wir uns finden müssen, um Widerstand zu zeigen. Hierbei handelt es sich nicht um eine identitäre Kategorie, noch um die Farbe einen Passes, sondern um eine politische Position.

So unterstützen wir keine migrantischen Sichtweisen, die aus der Idee einer gemeinsamen Identität die Akzeptanz durch staatliche Strukturen suchen und für einen Umbau des Staates und seiner Definintionen kämpfen. Solidarisieren uns aber mit denjenigen Antifaschisten, die die Unterordnung unter den Staat ablehnen und ihre Selbstbestimmung ausüben. Es ist die Position das nicht-bürger-sein, Quelle unserer Solidarität mit Lina.

Für Autonomie zu kämpfen, unsere Selbstverteidigung aufzubauen und zu praktizieren, neue Wege der Sorge von und für uns selbst zu schaffen, bedeutet, uns von der Vorstellung zu befreien, dass in einem Gerichtssaal Gerechtigkeit hergestellt werden kann, dass in einem Parlament Gleichheit entstehen könne. Unser Weg ist die Solidarität, und das erfordert politische Verantwortung, das Erkennen des gemeinsamen Feindes, die Wertschätzung der Emanzipationskämpfe der anderen, die Abkehr von unserer ideologischen Arroganz oder unserem methodologischen Puritanismus.

Wir sind in einer Situation, in der wir uns als Antifaschisten positionieren müssen. Ist das wirklich etwas, woran wir zweifeln?
Den antifaschistischen Kampf an den staatlichen Repressionsapparat abzutreten ist keine Option. Wir bitten nicht das Großkapital, den Klassenkampf zu organisieren. Wir bitten nicht den männlichen Vergewaltiger, den feministischen Kampf zu organisieren. Wir bitten nicht die extraktivistischen Interessen, für die Selbstbestimmung der Mensches im globalen Süden zu kämpfen. Wir können vom Vaterland nicht verlangen, dass es seine Erstgeborenen verleugnet: Die Grundsteine dieses deutschlands sind faschistisch: seine Grenzen, seine Richter, seine Gesetze, seine Institutionen, sein Bildungssystem, seine Geschichtsauffassung, sein Militär, seine internationalen Handelsverträge…

Linas Untersuchungshaft ist das Ergebnis einer jahrelangen Ausweitung dieses unersättlichen Monsters der richtenden Repression, dem es gelungen ist, seine Methoden gegen die verschiedenen Formen des nicht-bürger-sein zu legitimieren: Migrantinnen, Revolutionärinnen, Feministinnen, Antifaschistinnen.

Das strafende System beteiligt uns an seiner Weiterentwicklung; es nutzt unsere Gleichgültigkeit, wenn seine repressiven Methoden auf ferne Realitäten angewandt werden. Gegen diejenigen, die wir nicht kennen. Werden sie gegen unsere Feinde angewandt, feiern wir das ab, ohne zu verstehen, dass dies keine Errungenschaft ist (und viel weniger unsere), sondern der einfache Weg zur Legitimierung des Gewaltmonopols. Dann wenn wir unvorsichtig werden, wenn wir Polizeieinsätze gegen die extreme Rechte feiern, fällt es in unsere Strukturen ein und das, was uns fern schien, rückt in den Mittelpunkt unseres Alltags. Was wir als Schlag gegen andere verstanden haben, nimmt die Form einer Tragödie über uns selbst an.

Weg mit §129

Natürlich kämpfen wir für eine Welt ohne diese Art von Gesetzgebung, aber wir werden der Repression, die diese Art von Gesetz ausübt, nicht wirklich ein Ende setzen, indem wir den Staat auffordern, sie abzuschaffen. Heute heißt er §129, morgen kann er §333 heißen.

Weg mit §129 ist für uns keine Forderung an den Staat, sondern eine intime Forderung an uns selbst, an unsere Strukturen, an jedes Mitglied der Bewegung. Wir müssen den §129 aus unseren Köpfen, aus unseren Körpern, aus unseren sozialen Beziehungen und damit aus unseren politischen Strukturen und Praktiken wegbekommen. Wir können uns nicht länger aus Angst vor Repression distanzieren. Wir können uns nicht länger davor fürchten, uns mit Angeklagten zu solidarisieren. Wir können nicht länger zulassen, dass der Staat unsere Freundschaften bestimmt. Die historische Forderung der Frauenbewegung trifft auch auf den § 129 zu: Das Private ist politisch. Auf Kriminalisierung können wir nur mit Freundschaft und Verständnis reagieren. Auf Dämonisierung nur mit aufrichtigen Fragen und politischen Diskussionen. Gegen die Isolation, das Zusammenstehen als Genossinnen.

Es ist keine Neuigkeit, dass dieses §129 Verfahren auf dem ätzendsten Patriarchat beruht. Es ist auch keine Neuigkeit, dass das System der Bestrafung erzieherisch wirken soll: „um Beispiele zu setzen, damit die Massen keine schlechten Wege einschlagen“. Sie haben sich ordentlich vergriffen, sie versuchen, Lina zu einem exemplarischen Fall zu machen, in einem besonderen Moment, einem Moment, in dem die verschiedenen feministischen und antipartriarchalen Bewegungen hier und in der Welt, wieder an Kraft gewonnen haben. Was für eine Angst eine starke Frau dem Staat macht… eine potentielle Hausfrau in den Fängen der antifaschistischen Bewegung verloren. Nein, Lina ist weder ein schlechtes Beispiel noch ein strahlendes Symbol. Das sollte sie auch nicht sein. Lina ist eine Genossin, und als solche müssen wir sie verteidigen, so wie wir uns selbst verteidigen. Ohne sie zu verherrlichen, ohne sie zu dämonisieren.

Dieses Verfahren geht uns alle an!

Im Schmerz und Kampf erkennen wir uns kollektiv wieder, solidarisieren uns mit Lina. Schmerz darüber, weiterhin in einer Welt zu leben, die von Faschisten regiert wird, Schmerz über die Gleichgültigkeit gegenüber dieser Welt. Wir respektieren Lina für ihre Überzeugung als Antifaschistin, denn unser antikolonialer und antikapitalistischer Kampf kann nur mit einer klaren antifaschistischen Position existieren.

Wir hätten uns gewünscht, von Seiten der Angeklagten eine klare Botschaft zu hören, der wir unsere Solidarität schenken können. Ein klare Ablehnung dieses Verfahrens, eine konträre Position zum bürgerlichen Justizsystem. Doch wir kritisieren uns auch selber, zu spät unabhängig davon aktiv geworden zu sein. Dieses Verfahren meint uns alle, ist über die konkret Betroffenen hinaus ein Angriff auf die Bewegung. Wenn wir alle §129 sind, dann haben wir als Teil der Bewegung die Pflicht, aber auch die Freiheit und mit unserer politischen Positionierung und mit unserem Handeln gegen diesen Prozess zu wehren.

Unsere aufrichtige (Selbst-)Kritik an allen radikalen Linken, die mit revolutionärem Selbstverständnis die Solidarität verweigeren, weil sie meinen, es seien nur „Antifa-Kids“. Radikal zu sein in einer Welt der Dominanz, in einem System des Hasses, bedeutet für uns, Liebe zum Leben zu zeigen. Die aufrichtige und kritische Begleitung derer, die ein individuelles Leben für eine gemeinsame Utopie aufgeben. Sich nicht zu solidarisieren ist weder radikal noch revolutionär, sondern einfach nur arrogant: Der Versuch die Werkzeuge des Herren zur Zerstörung seines Hauses zu verwenden.

Wir rufen diese Linke auf, ehrlich zu sich selbst und zur Bewegung als Ganzes zu sein: Wollen wir die bestehende Ordnung in Frage stellen? Dann zeigt revolutionäre Solidarität: mit aufrichtiger Kritik und mit unmissverständlicher antistaatliche Überzeugung. Jede Kritik, die wir an einer GenossInn üben, muss von Angesicht zu Angesicht diskutiert werden können. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Staat entscheidet, wann und wie wir unsere Diskussionen über unsere politischen Differenzen führen werden. Wir werden sie dann haben, wenn wir die Bedingungen definieren können.

Wir rufen die migrantische Bewegung dazu auf, sich nicht aus einer identitären Trennungen heraus gleichgültig zu verhalten. Wir sollten nicht das tun, was wir an anderen so sehr kritisieren.

Ein Jahr nach ihrer Entführung, ein Jahr nach dieser juristischen Pantomime, ist wächst in uns der Wunsch, mit Lina zu diskutieren. Wir wollen sie verstehen, dass sie uns versteht, und das kann nur geschehen, wenn wir uns alle Begegnen können und uns gegenseitig in die Augen sehen, ohne Gitter oder Plexiglas, die uns trennen. Damit ein Prozess der Kritik, des autonomen Wachstums und der kollektiven Befreiung stattfinden kann, bleibt nur Ihre Freiheit. Und diese Freiheit kann nur das Ergebnis eines gemeinsamen politischen Kampfes in Solidarität sein.

Ein Angriff auf Lina ist ein Angriff auf uns Alle!
Freiheit für Lina!
Freiheit für alle!

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