[Chile] 1. öffentliches Kommuniqué des „Anti-Prison Solidarity Network with Juan und Marcelo“

Quelle: 325, Übersetzt von ABC Wien

Was ist ein Gefängnis?

Das Gefängnis ist eine materielle Struktur, durch die dafür gesorgt werden soll, Taten von Personen, die gegen die Führung des Staates verstoßen, zu verhindern. Daher sind Bestrafung und die Auferlegung gesellschaftlich akzeptierter Disziplinierungen das Regime, in dem Gefangene leben müssen, um so die Annullierung ihrer Taten, Ideen und Überzeugungen anzustreben. Diese Taten können kriminelle Straftaten und auch solche, die die bestehende Ordnung mithilfe revolutionärer Politik in Frage stellen, sein. Für die letztgenannten beziehen wir Stellung und zeigen Unterstützung und Solidarität mit den Gefährt*innen, die momentan für aufständische Aktionen aufgrund einer politischen Idee von Freiheit inhaftiert sind. Aufgrund des Engagements der beiden Gefährten wollen wir sie aktiv unterstützen, ganz konkret, weil wir die gleichen Ziele haben.

Wir, autonome Gefährt*innen und Anarchist*innen, engagieren uns seit einiger Zeit für libertäre Initiativen und Projekte – an verschiedenen Orten und aus unterschiedlichen Kontexten – um einen Bruch mit der Ordnung, den Normen und allem, was Kapital und Staat uns aufzwingen wollen, zu erreichen. Vor diesem Hintergrund haben sich einige Menschen zusammengefunden, um gemeinsam das „Anti-Prison Solidarity Network mit Juan und Marcelo“ zu gründen.

Wer sind Juan und Marcelo?

Juan Aliste Vega und Marcelo Villarroel Sepulveda sind zwei aufständische, autonome und libertäre Gefangene, die im Hochsicherheitsgefängnis vom Santiago, Chile seit Juli 2010 (Juan) bzw. Dezember 2009 (Mercelo) festgehalten werden.

Beide Gefährten führen revolutionäre Kämpfe seit ihrer Jugend – während der Militärdiktatur genauso, wie danach – und entwickelten offensive Aktionen gegen Kapital und Staat. Angriffe, die sowohl auf materielle Strukturen sowie auf Subjekte, die Teil dieses Staatsapparates sind, abzielten. Sie erklärten, dass die Zeiten einer Positionierung und Entschlossenheit bedürfen, so dass sie sich Mapu-Lautaro anschlossen, eine von mehreren politisch-militanten Gruppen, die zu dieser Zeit existierten.

Ihr Kampf gegen die etablierte Ordnung führte 1991 bzw. 1992 zu ihrer Verhaftung. Das Gefängnis war ein Umstand, den sie niemals wollten oder suchten, wie einer von ihnen in einem alten Interview sagt; über ein Jahrzehnt mussten sie sich der Gefangenschaft, der Repression der Gefängniswärter sowie der eigenen Logik dieser trostlosen Institution stellen.

Nach ihrer Entlassung kommt es am 18. Oktober 2007 zu einer neuen Situation, die sich auf die öffentliche Meinung, die Polizei, die Staatspolitik sowie den Staat auswirkt. Ein Überfall auf die Security Bank im Herzen der Hauptstadt Santiago. Die Angreifer nehmen das Geld und fliehen in verschiedene Richtungen, zwei von ihnen treffen auf zwei Polizeibeamte und es kommt zu einem Schusswechsel, in dessen Verlauf ein Polizist, Luis Moyano, erschossen wird. Das Kapital zu verteidigen kostete ihn einen großen Preis: den Tod.

Das sind die Fakten und die Jagd geht los: Juan, Marcelo, Carlos Gutierrez Quiduleo* und Freddy Fuentevilla Saa* werden im Fernsehen gezeigt, als Angreifer und Mörder gekennzeichnet. Sie beschließen, in die Klandestinität unterzutauchen, einer von ihnen verstößt somit gegen das „beneficio intrapenitenciario“, dem er 2003 zugestimmt hatte.***

[Anmerkung: benefico intrapenitenciario: Im Rahmen der „sozialen Reintegration“ von Gefangenen kann die zu verbüßende Haftstrafe unter Anwendung von Sanktionen ausgesetzt, ersetzt oder erlassen werden. Hierfür muss sich der Gefangene durch sein „positives“ Verhalten (während der Haft) qualifizieren. Um die bedingte Freiheit zu bekommen und zu behalten, muss der Gefangene sich an festgelegte Auflagen halten.]

Am 15. März 2008 wurden Marcelo und Freddy in San Martin de los Andes in Argentinien verhaftet. Die Anklage lautete illegaler Kriegswaffenbesitz, für den sie später für schuldig befunden und zu 3 Jahren und 6 Monaten Knast verurteilt wurden. Als sie die Hälfte der Strafe abgesessen hatten, wurden sie am 16. Dezember 2009 nach Chile ausgewiesen und dort in das Hochsicherheitsgefängnis gebracht. Juan wurde am 10. Juli 2010 ebenfalls in Argentinien am Retiro Bus Terminal in Buenos Aires verhaftet. Er wird direkt nach Chile ausgewiesen und dort ebenfalls in das Hochsicherheitsgefängnis gebracht.

In Santiago de Chile – nach 4 Jahren Sicherheitsverwahrung – fand der Prozess im Juli 2014 statt. Sie wurden zu 42 Jahren (Juan), 14 Jahren (Marcelo) und 15 Jahren (Freddy) Haft verurteilt. Der Fall wurde als „Securtiy Case“ oder „Moyano Case“ bekannt.

Inzwischen ist mehr als ein Jahrzehnt seit diesen Ereignissen im Herzen von Santiago vergangen – eine Zeit in der ihre Familien und Freund*innen bedroht wurden. Klandestinität, Schläge, Verhaftungen, Verleumdungen, die Bloßstellung durch die öffentliche Meinung, Gefängnis, Transfer zu verschiedenen Anstalten, Verurteilungen. Und dann, ein Prozess, begleitet von der Solidarität anonymer Gefährt*innen, Gruppen, Kollektive, politischen Organisationen, materielle sowie symbolische Unterstützung. Verschiedenste Aktionen wurden durchgeführt, Presseberichte, Vorträge, Konzerte, Versammlungen, Straßen-Agitation durch Propaganda, Poster, Veröffentlichungen, Online-Verbreitung und auf illegale Art eine breite Vielfalt subversiver Aktionen in Chile und vielen Orten auf der ganzen Welt.

Was haben wir als Solidaritätsnetzwerk vor?

Unterstützung und Solidarität (in ihren vielfältigsten Formen) ist es, was wir entwickeln und verbreiten wollen – in einer praktischen, öffentlichen und systematischen Weise – das wesentliche wird es für uns sein, durch Plakate, Propaganda und Aktionen auf die Situation der Gefährten aufmerksam zu machen, konkrete Gesten, die darauf abzielen, eine Brücke zwischen den beiden im Knast zu denen draußen zu bauen.

Diese Art der öffentlichen Aktionen – Straßen besetzen, verschiedene Orte, elektronische Medien, Austausch mit anderen Gruppen und Individuen, etc – sind wichtig, da sie das Wissen über die Situation der Gefährten (die trotz der Widrigkeiten existieren und ihnen trotzen), ihre politischen Ideen und Praktiken, vermitteln. Ein weiterer wichtiger Faktor ist es, mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, sich mit der Anti-Gefängnis-Perspektive auseinanderzusetzen – ein Kampf unter vielen gegen Kapital und Staat. Wir wollen bewegen und informieren, kreieren und mitmachen, um Theorie und Praxis zu stärken, denn wenn eine radikale Idee im Bewusstsein ist, muss davon ausgehend etwas getan werden.

FACING THE MASSIVE INDIFFERENCE: ACTIVE ANTI-PRISON RESISTANCE!

FREEDOM FOR JUAN, MARCELO AND ALL THE PRISONERS OF SOCIAL WAR!

WHILE THERE IS MISERY… THERE WILL BE REBELLION!

 

Anti-Prison Solidarity Network with Juan and Marcelo

rsanticarcelaria@riseup.net
July 2018

Santiago de Chile

 

*Carlos Gutierrez Quiduleo, liberitärer Weychafe (Übersetzung des Mapuche-Worts: „Kämpfer“). Die aufständische Geschichte des Gefährten geht zurück bis in die 80er Jahre, als er Teil der Urban Guerilla der Youth Movement Lautaro (MJL) war. Er wurde im Januar 1995 inhaftiert (illigale terroristische Vereinigung) und im Oktober 1998 auf Kaution entlassen. Er wurde dann 2003 erneut verhaftet aufgrund des Vorwurfs des Überfalls auf die Santanders Bank in Nunoa, Santiago. Er wurde 2005 auf Kaution entlassen und 2006 für 5 Jahre und 1 Tag Knast verurteilt. Später wurde er der Teilnahme des Überfalls auf die Security Bank in Santiago beschuldigt. Er wurde am 28. November 2013 nach sechs Jahren des Lebens im Untergrund in der Region La Araucania durch das PDI Team festgenommen und direkt in den Hochsicherheitstrakt des Hochsicherheitsgefängnisses in Santiago überführt. Am 10. September 2015 wurde er aus dem Knast entlassen.

**Freddy Fuentevilla Saa (autonomer Aufständischer). Die aufständische Geschichte des Gefährten geht bis in die 90er Jahre zurück, als er Teil der Urban Guerilla des Revolutionary Left Movements (MIR) war. Nachdem er als Teilnehmer des Überfalls auf die Security Bank in Santiago gebrandmarkt wurde, tauchte er unter, wurde dann auf argentinischem Gebiet verhaftet und nach Chile ausgeliefert, wo er verurteilt wurde. Am 18 Juni 2018 wurde er aus dem Knast entlassen.

***Marco Villaroel Sepulveda (aufständischer Libertärer) ist der Gefährte, der gegen das intra-penitentiary benefit verstoßen hat, welches er am 28. Dezember 2003 in Anspruch genommen hatte. Seine Haftstrafe geht bis zum 26. Februar 2056. Wir fassen noch einmal kurz zusammen: illegale terroristische Vereinigung, 10 Jahre und 1 Tag für die Beteiligung bei der Urban Guerilla Mapu-Lautaro. Beschädigung von Fahrzeugen der Finanzbehörden mit ernsthafter Verletzung eines Carabinieri, 3 Jahre und 541 Tage aufgrund des Angriffs auf Polizeifahrzeuge in den Gemeinden Cerro Navia und Conchali. Mittäter eines „terroristischen Mordes“, 15 Jahre und 1 Tag für die bewaffnete Auseinandersetzung mit der Eskorte von Politiker Luis Pareto, bei der drei Kriminalbeamte in der Gemeinde Las Condes starben. Diebstahl mit Einschüchterung (Gesetz 18.314), 10 Jahre und 1 Tag für die Enteignung einer staatlichen Bank und eines Lastwagens mit Hühnern, die in einer Stadt in der Gemeinde Renca verteilt wurde. Abschließend, ein Angriff mit Sprengstoff gegen den Wohnsitz des spanischen Botschafters, 8 Jahre und 1 Tag, während des Gedenkens an den 500. Jahrestag des Massakers an den Vorfahren in diesem Gebiet. All diese Aktionen wurden in Santiago de Chile durchgeführt.

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