[Deutschland] Prozessberichte Elbchaussee vom 19.9.19, 20.09.19 und 25.09.19

Quelle: united we stand, united we stand

Prozessbericht Elbchaussee 19.9.19

Der erste Zeuge hatte als Teil der SoKo einen Auswertevermerk zur angeblichen Anzahl mitgeführter Molotov-Cocktails anhand des vorhandenen Bildmaterials geschrieben. Dazu berichtete er, dass er hierfür auf dem Lichtbildmaterial erkennbare Flaschen in den Händen der Demo-Teilnehmer gezählt habe. Aber schon die erste Frage des Gerichts, ob er denn habe erkennen können, was in den von ihm für Flaschen gehaltenen Behältnissen drin gewesen sei, musste er verneinen. Relativ schnell wurde die Vernehmung dann unterbrochen, da sich eine Diskussion entwickelte, ob es sich bei den von dem Zeugen in den Vermerk aufgenommenen Lichtbildern, die er als Screenshots aus Videos durch z.B. Zoomen und Einkringelung vermeintlich erkannter Dinge bearbeitet hatte, um „neue“ Beweismittel im Vergleich zu den unbearbeiteten Bildern handelt. Dem Zeugen wurde aufgegeben, die unbearbeiteten „Original“-Screenshots beizubringen.

Im Anschluss kam dann der schon vor einiger Zeit gehörte Zivilfahnder vom PK21 erneut, weil die Kammer die Vermutung hatte, dass es sich bei ihm um den Polizeibeamten handeln könnte, der an den Bundespolizisten vorbeigelaufen sei und „Anziehen, anziehen, jetzt geht es los!“ gerufen haben soll. Diese Annahme hat er klar von sich gewiesen.

Die Verteidigung hat dann mit ihm erörtert, wie es zu seiner „Flucht“ vom Bahnhof Altona kam [dazu gab er an, er habe sich nicht auf eine Auseinandersetzung einlassen wollen]. Welchen Weg genau er zum PK21 zurück langgelaufen sei wisse er nicht mehr, er habe erst ab IKEA wieder sichere Erinnerung, weil das das markanteste Haus vor Ort sei. Wobei er innerhalb dieser „sicheren Erinnerung“ davon ausgegangen ist, dass IKEA bei seinem Passieren noch vollkommen unbeschädigt gewesen sei [was faktisch falsch ist, IKEA war bekanntlich seit dem Vortag mit Brettern ausgestattet…] Es wurde auch erörtert, wie ein Zivilbeamten Einsatz ggf aussieht (am Beispiel eines HSV-Spiels: mehrere Beamte in zivil treten gemeinsam als „Kleingruppe“ auf und mischen sich unter die dunkel gekleideten Personen…). Abschließend entspann sich mit dem Zeugen noch eine absurd-komische Diskussion darum, an wen er sich mit seiner Ladung gewandt habe, um herauszufinden, zu welchem Verfahren diese gehört. Er behauptete, eine „Kriminalpolizei allgemeine Sachbearbeitung“ angerufen zu haben. Weder die Telefonnummer noch die dortigen Ansprechpartner seien ihm in Erinnerung. Er könne auch nicht sagen, wo diese im Organigramm angegliedert sei…

An den Tagen seit dem letzten Bericht wurden hauptsächlich weiter Schäden erhoben, da die Kammer der Meinung ist, psychische Beihilfe könnte noch „fortwirken“, unabhängig der eigenen Anwesenheit. Der Termin am 21.8. ist ausgefallen, weil ein Richter eine Fortbildung hatte…gilt ja nur das Beschleunigungsgebot, wegen Haftsache…

 

Elbchaussee-Prozess am 20.09.19 und 25.09.19

Der Prozesstag war ein intensiver Video-Tag. Zuerst hat die Verteidigung von Loic erneut mit Widersprüchen gegen die Inaugenscheinnahme des Videomaterials gerichtet. Wie bereits üblich hat die Kammer die Widersprüche zurückgewiesen. Zumindest eröffneten die Widersprüche aber die Möglichkeit, mit der Kammer Sinn und Zweck der Inaugenscheinnahme zu erörtern. Diese wertet es derzeit so, dass sie aus Transparenzgründen die Videos mit allen Beteiligten (erneut) in der Hauptverhandlung ansieht, um deutlich zu machen, welche Stellen aus ihrer Sicht maßgeblich sind, was (vorläufig) für Schlussfolgerungen aus den Bildern seitens des Gerichts gezogen werden und so weiter. Das ist zwar alles nicht „greifbar“, weil es nirgendwo notiert wird (auch darum ging es in den Widersprüchen von Loics Verteidigung), aber immerhin wissen wir alle, woran wir sind. Wir haben uns dann erneut die von Zeugen eingesandten Videos angesehen.

Am 25.09. wurden zuerst verschiedene Zeugen („instruierte Vertreter“) der Eigentümer der beschädigten Häuser an der Max-Brauer-Allee gehört. Diese brachten Rechnungsmaterial aus der Schadenbeseitigung mit. Es stellte sich heraus, dass die Häuser praktisch sämtlich „in Immobilienfonds eingebracht“ sind (Beispielsweise: Continentale –> Immobilie erworben von Conntinentale, veräußert an Immobilienfonds, Eigentümer eine Kapitalverwaltungsgesellschaft mit Sitz in Dortmund…). Die Schadenberechnungen sind teils vollkommen wirr, weil unterschiedliche Schadennummern unterschiedlichen Geldgebern gegenüber angezeigt wurden (z.B.:wurde gegenüber der eigenen Versicherung eine andere Schadennummer als gegenüber Härtefonds angegeben). Das würde sicher für einige Monate Beschäftigung sorgen, wenn die Kammer nicht schon mitgeteilt hätte, gegebenenfalls durch Schätzung die Schäden zu „ermitteln“. Aber auch hierfür braucht es eine Schätzgrundlage, so dass auch hier noch einiges an Aufklärung auf die Hauptverhandlung zukommt.

Dann kam der Zeuge Waldorf, der „Polizeiführer vor Ort“ der Bundespolizeieinheit aus Blumberg am Bahnhof Altona war. Er berichtete, morgens am 07.07.2017 den Auftrag bekommen zu haben, mit zwei Trupps Versammlungsteilnehmer aufzuklären, die sich am Bahnhof Altona treffen und dann in die Innenstadt fahren sollten. Sie hätten den Auftrag von einem „Eingreifzug“ der Blumberger übernommen,der eher für die rustikalen Einsätze sei, der woanders eingesetzt worden sei – der Zeuge meinte: Nähe Reeperbahn. Die Versammlungsteilnehmer am Bahnhof seien ganz normales Klientel gewesen. Ein Trupp habe die Menschen von Altona aus in der Bahn begleitet, mit seinem Trupp sei er dort geblieben. Irgendwann habe er dann eine Gruppe dunkel gekleideter und vermummter Personen gesehen, nach seinem „schnellen Durchzählen“ ca. 100 Personen. Davon seien ca. 10-20 auf sie zugestürmt und hätten sie mit Steinen beworfen („Steinhagel“), so dass er sich für einen Rückzug entschieden habe. Er und seine Kollegen seien auf die Fahrzeug gegangen und im Kreis um den ZOB gefahren, dann wieder Richtung „Störer“. Diese seien dann aber schon weg gewesen. Er habe sich zuvor und hinterher noch nie in seinem ganzen polizeilichen Leben zurückgezogen, das sei das erste Mal gewesen. Trotz hartnäckigem Nachfragen wollte ihm außer einer Situation auf dem Bahnhofsparkplatz mit seinem Vorgesetzten keine Nachbesprechung zu diesem (aus polizeilich-blumberger Sicht: desaströsen) Einsatz mehr einfallen. Er habe mehrfach gefunkt mit der Befehlsstelle der Bundespolizei, das werde auch alles dokumentiert und gespeichert / aufbewahrt. Vor Ort habe er auch mit einem Zivilbeamten gesprochen, das sei aber deutlich vor Erscheinen der Gruppierung gewesen. Dieser habe auf einmal an ihren Fahrzeugen gestanden und sich – hochwahrscheinlich nach Vorzeigen des Dienstausweises oder nach Mitteilung der Tagesparole – mit ihm und eventuell auch anderen unterhalten. Ein Zivilbeamter, der „Anziehen, anziehen…“ gerufen habe, sei ihm nicht untergekommen. Letztlich bleibt nach der Aussage dieses Polizeibeamten stehen, dass es vor Ort mindestens 4 Zivilbeamte im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Auftauchen der „Vermummten“ gab:

Dangschat / Scheller (beide vom PK21), der „Anziehen, anziehen, jetzt geht es los“ – Beamte und der Zivi, der sich vorab bereits mit dem Zeugen Waldorf unterhalten haben soll. Wo diese zivile Aufklärung dann abgeblieben ist, als es „los ging“, ist mit Ausnahme Dangschat / Scheller unklar. Von diesen beiden ist immerhin klar, dass sie zum PK21 geflohen sind.

Die Kammer hat schließlich noch einen Beschluss verkündet, mit dem die weitere Vernehmung der Sachverständigen Wittwer-Backofen (Identifizierung Loic anhand Bildmaterials) abgelehnt wurde. Die Kammer will nicht – wie von der Verteidigung beantragt – der Sachverständigen weiteres Videomaterial zur Prüfung übersenden, ob auch weitere Personen auf dem Bildmaterial die „anthropomorphischen“ Eigenschaften der für Loic gehaltenen Person aufweisen. Als Begründung führt die Kammer an, dass sie aufgrund der ersten Vernehmung der Sachverständigen über genügend eigene Sachkunde verfüge. Als einigermaßen hinterhältig in der Begründung ist, dass der Verteidigung mitgeteilt wird, auch sie selbst verfüge mittlerweile über eigene Sachkunde. Dies habe die Kammer feststellen können, als bei der Befragung der Sachverständigen die Verteidigung auch nach anderen Personen auf dem Bildmaterial gefragt habe. Die Kammer zieht also jetzt unmittelbar das Verteidigungsverhalten in der Hauptverhandlung heran, um Beweis(ermittlungs)anträge zurückzuweisen. Das ist schon einigermaßen bösartig…

Am 23.10. soll es weitergehen, jetzt ist ein Monat Pause. Für den 06.11. ist ein Rechtsgespräch vorgesehen, in dem es insbesondere um die Fragen „Demo?“ und „Beihilfe / Zurechnung der (strafrechtlichen) Verantwortlichkeit auch über eigene Anwesenheit hinaus?“ geht.

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