[USA] Marius Mason: Statement zum 11. Juni

Quelle: support marius mason, übersetzt von abc wien

Ich kann es kaum glauben, dass wieder ein Jahr vergangen und es ist wieder J11 ist. Ich bin sehr dankbar für diesen jährlichen Berührungspunkt als Gelegenheit, meine Community draußen zu erreichen und eine Bilanz des Jahres zu ziehen. Es ist schwer zu akzeptieren, dass ich seit mehr als einem Jahrzehnt eingesperrt bin, und noch ernüchternder, wenn man bedenkt, wie viele Gefährt*innen für mehrere Jahrzehnte eingesperrt sind. Sie haben meine unendliche Bewunderung dafür, dass sie ihre Integrität bewahren und ihre Vision über so viele Jahre am Leben erhalten haben.

Ich möchte mich immer bei all den guten Menschen bedanken, die Solidaritätsveranstaltungen durchführen, um diesen Tag zu begehen. Ich bin sicher, dass alle anarchistischen Gefangenen, genauso wie ich es tue, viel Kraft und Mut aus dem Wissen schöpfen, dass ihr alle hinter uns steht und so hart gearbeitet habt, um diese immense Liebe über Grenzen und durch Gitterstäbe zu schicken. Es hat in diesen Tagen viel zu viel Hass und „Othering*“ an den Grenzen gegeben. Es ist eine kraftvolle Botschaft, stattdessen Liebe zu senden und die Legitimität aller Grenzen in Frage zu stellen, die uns als Lebewesen trennen oder entwerten und alle diesen Planeten gleichermaßen teilen.

Mir geht es gut. Ich setze mich weiterhin für meinen medizinischen Übergang ein und arbeite hier in unserem Diversity Committee, um über trans-Themen zu informieren. Meine Versetzung in die Danbury Federal Correctional Institution, in einen Knast mit niedriger Sicherheitsstufe, hat eine weitere Art der Inhaftierung offenbart. Es ist ein größerer Raum mit weniger Gefangenen (etwa 150) und mal mehr, mal weniger restriktiv. Ich lerne hier gerade die Grundregeln und meine Mitgefangenen kennen. Ich war nicht an vielen Orten in der freien Welt, aber ich habe das Gefühl, dass ich jetzt eine Reihe von verschiedenen Seiten des B.O.P. gesehen habe. Ich plane, bald mehr über diesen Ort zu schreiben.

Ich bekomme viele meiner Informationen über die freie Welt aus Büchern und möchte ein wenig über zwei davon erzählen. Ann Hansen’s Taking the Rap: Women Doing Time for Society’s Crimes fand bei mir wirklich Anklang, sowohl bei der Beschreibung der Auswirkungen der unterschiedlichen Ebenen der persönlichen Autonomie in verschiedenen Arten von Gefängnissen, in denen sie lebte (von einem Hochsicherheitsgefängnis bis zu einer zaunfreien Wohnungs/Gruppenunterbringung zu Hause) – als auch bei der Frage, wie ein*e politische*r Gefangene*r ihren*seinen Mitgefangenen respektvoll Unterstützung anbieten könnte. Das Konzept der Begleitung, von dem ich zum ersten Mal von Alice und Staughton Lynd gehört habe, die Arbeit in armen Gemeinden organisieren, scheint auf viele von Hansens Beobachtungen wirklich anwendbar zu sein. Ich habe in diesem Jahr oft das Gefühl gehabt, dass die beste Hilfe, die ich anderen Gefangenen anbieten konnte, darin bestand, mit ihnen zu gehen, zu trösten und zuzuhören, Mentor im RDAP-Programm (Drogenrehabilitation) in Carswell zu sein und am FIT-Programm hier in Danbury teilzunehmen – mit ihnen zu singen, dynamische Diskussionen über Werte und Geschichte zu führen und gegenseitige Hilfe und Respekt zu fördern. Es ist wichtig, diejenigen festzuhalten, die krank oder beschädigt sind, denn das stärkt uns alle.

Das bedeutet für mich einen signifikanten Perspektivenwechsel auf den sozialen Wandel. Ein Großteil meiner politischen Arbeit war reaktiv, einseitig und konfrontativ. Ich habe immer fest an Intersektionalität geglaubt, indem ich mich zwischen Themen, Bewegungen und Identitäten bewegte – aber ich war nicht sehr effektiv darin, eine klare Vision der Welt zu entwickeln oder gar zu artikulieren, von der ich hoffte, sie zu schaffen. Dies bringt mich zu dem zweiten Buch, das ich so inspirierend fand, adrienne maree brown’s Emergent Strategies: Shaping Changes, Changing Worlds. Das Buch vereint viele Stimmen, die zu Kooperationen aufrufen und diese entwickeln, um praktikable Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden, die die von uns gewünschte egalitäre Gesellschaft verkörpern. Was ich an dem Buch so sehr liebte, war die Freude am Prozess, anstatt sich auf das Endergebnis zu konzentrieren…. und diesen Veränderungsprozess als Sieg an sich zu sehen.

Was wahr ist, ist, dass ich meine Freiheit und alles, was ich in der freien Welt geliebt habe, gegen eine Chance eingetauscht habe, eine neue Welt aufzubauen, indem ich mich der alten widersetzet. Ich habe in dieser leidenschaftlichen Suche viele, viele Fehler und schreckliche Entscheidungen getroffen. Ich bin demütig, aber nicht verbittert. Denn wenn es Dialog, Reflexion und Analyse gibt – dann kann es nach meiner Erfahrung vielleicht eine wertvolle Lektion geben, die jeder Widerstandsbewegung in ihrem Wachstum helfen könnte. Und es ist dieses Studium unserer kollektiven Geschichte und unseres Vermächtnisses des Kampfes, das mir hilft, meine Bemühungen als einen kleinen Strom zu sehen, der sich diesem großen Fluss der Veränderung anschließt. brown spricht davon in ihrem Buch; dass wir lernen können, wie Wasser zu sein, uns immer an die Bedingungen anzupassen und zu dem zu werden, was wir sein müssen, um uns in Richtung Freiheit voranzutreiben.

Liebe und Solidarität, Marius Mason

 

*Othering: Bezeichnet die Differenzierung und Distanzierung der Gruppe, zu der man sich zugehörig fühlt, von anderen Gruppen

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