Quelle: barrikade
Die Lektüre des Handbuchs „die Geheimnisse der Polizei-Verhöre und -Anhörungen“, 2012 in Lausanne veröffentlicht (bis jetzt nur auf französich erhaltbar), enthüllt die grössten Tricks und die schlechte Wissenschaft, auf die sich die Schweizer Polizei bei der Befragung von verdächtigen Personen stützt. Das Buch listet die Techniken auf, die von den Ermittler*innen verwendet werden, damit du auspackst. Es ist eine gute Lektüre, um sich nicht durch ihre Manipulationen destabilisieren zu lassen und um sich daran zu erinnern, wie Mensch sich vor „netten“ Bullen hüten kann.
Teppichwissenschaft
Ob ihr es glaubt oder nicht, die Polizist*innen, die euch während des Verhörs gegenübersitzen, sind nichts weniger als Wissenschaftler*innen. Olivier Guéniat und Fabio Benoîts Buch ist überfüllt von „wissenschaftlichen“ Rechtfertigungen der blödsinnigen Manipulationsverfahren, die sie empfehlen. Diese Schein-Wissenschaftler und ihr Gefasel werden ungefiltert in einem Verlag veröffentlicht, der dem sogenannten Aushängeschild der lokalen „Wissenschaft“, der EPFL (Eidgenössische Hochschule Lausanne) angehört. Das Vorwort von Hubert Van Gijseghem- Psychologe mit kontroversen Theorien– gibt den Ton für den Rest des Buches, eine Ode an die „Wissenschaft“ und den „Fortschritt“, vor
„Im Labor wurden die verschiedenen Verhörtechniken und -Strategien rigoros verglichen, um die ergebniswirksamsten unter ihnen zu identifizieren (…) Dank der Forschung konnten mittelalterliche Verhörmethoden zugunsten rigoroser Ansätze ausgetauscht werden, die es uns ermöglichen, der Suche nach der Wahrheit beizutragen.“
Diese eindringliche Suche nach der Wahrheit gehöre anscheindend der ganzen Menschheit, so der Verfasser des Vorworts. So sehr, dass er das Buch der beiden Polizisten als Geschenk an alle beschreibt:
„Mit der erfolgreichen Erhebung dieser Daten bieten uns Herr Guéniat und Herr Benoît ein Lehrwerk oder einen Führer an, der nicht nur für Polizeibeamte, Anwälte, Richter, Psychologen, oder Psychiater nützlich ist, sondern auch für all jene im öffentlichen und privaten Sektor, die einander zuhören müssen. Selbst in den alltäglichsten zwischenmenschlichen Beziehungen hat das Zuhören von jemandem immer etwas mit der „Suche nach der Wahrheit“ zu tun.“
So beginnen unsere Polizeiexperten ihr Werk mit einer abgedroschenen Redensart untersten Niveaus: „Seit jeher versuchen die Menschen unermüdlich festzustellen, ob ihre Mitmenschen ihnen die Wahrheit sagen, nämlich was ihre Gedanken, Ansichten und Absichten sind.“ Danke Olivier, danke Fabio, für diese dumme Essentialisierung des Menschen, die jede historische Perspektive kurzerhand ignoriert. Fest steht: Wir werden aus dieser Lektüre nichts mitnehmen.
Diese wissenschaftliche Schlamperei zieht sich durch das gesamten Buch. Unsere Experten, von denen niemand weiss, welche Ausbildung (die Polizeiakademie von Savatan?) sie befähigte, beginnen mit mutigen neurophysiologischen Überlegungen und greifen die obskursten Theorien über die Gehirnfunktionen auf. Die Leser*innen erfahren zum Beispiel, dass Lügner*innen aus ihrer rechten Gehirnhälfte schöpfen, während ehrliche Menschen die Linke benutzen. Des weiteren erfahren wir, dass sich diese Asymmetrie im Gesicht widerspiegle: Ein Ecklächeln wäre demnach Zeichen von Lügen. Die Millionen, die ins Human Brain Project einfliessen, scheinen Früchte zu tragen; die EPFL hat die kriminelle Physiognomie wieder entdeckt- die Wissenschaft, die kriminelle Tendenzen in Gesichtszügen liest.
Wissen, wie man seine Verdächtigen liebt
Offen gesagt basiert die gesamte von unseren Lieblingspolizeiexperten vorgeschlagene Interviewstrategie auf einem Grundsatz: „Partner*in der verdächtigten Person sollst du werden“. Denn nein, die Polizei ist nicht da, um Menschen, die viel riskieren, zum Reden zu bringen, sondern einzig und allein um eine starke Bindung mit ihrem*ihrer neuem*neuer Freund*in aufzubauen: „ Bei der Vorbereitung des Interviews muss der Ermittler bedenken, dass der Verdächtige, den er gleich verhören wird, kein Feind ist, sondern ein Partner, den es zu entdecken, zu begründen und zu überzeugen gilt.“ Zu diesem Zweck laden die Autoren während des Verhörs die Polizist*innen ein, „eine aktive Beziehung aufzubauen und eine der Entspannung förderliche Atmosphäre zu schaffen.“
Aus diesem Grund -um eine schön starke Beziehung aufzubauen- wird die verdächtige Person während des Verhörs mit einer Polizist*in isoliert: „ Durch die Isolierung der Person in einem neutralen Raum, erzwingt der Ermittler die verdächtige Person nicht nur, sich zu konzentrieren, sondern baut auch eine direkte und exklusive Bindung zu ihr auf. Sie wird somit schnell zur einzigen Gesprächspartnerin. Auf diese Weise kreiert der Ermittler eine unbewusste Abhängigkeit, indem er das Bedürfnis nach Kontakt mit der einzigen Bindung fördert.“ Für die Polizist*innen wäre daher Wolfgang Přiklopil für seine Arbeit an Natascha Kampusch ein Spezialist für den Aufbau einer „gesunden“ Partnerschaft.
Aber falls der*die Polizist*in sich mit der verdächtigen Person anfreunden will, geschieht dies nicht aus der Güte seines*ihres Herzens. Sondern ganz eifach deshalb, weil er*sie will, das die verdächtige Person kooperiert. In diesem Fall, um ein Geständnis zu bekommen, funktioniert das Zuckerbrot besser als die Peitsche, so die Autoren: „Im Stadium des ersten Kontakts mit dem Verdächtigen ist der Polizist weder arrogant, noch herablassend, noch autoritär oder starr, einfach weil dieses Verhalten Reaktionen der Selbstverteidigung oder Ablehnung hervorrufen können. Denn, die erste Voraussetzung [für einen erfolgreichen Erstkontakt] ist immer die Anerkennung des anderen als Mensch und nicht als Verbrecher.“ Nach seiner*ihrer Verurteilung sieht es dann ganz anders aus..
Der „sanfte“ Polizist*in wird somit zum gutwilligen Patriarchen, zum modernen Priester, dessen wohlwollendes Lächeln die Beichte ins Rollen bringen soll.
Darüber hinaus zieht das klassische Schema „guter*gute Polizist*in- böser*böse Polizist*in“ darauf ab, eine gesunde Partnerschaft zwischen einem*einer der Polizist*innen und der verdächtigen Person zu erleichtern, indem betont wird, wie sehr der*die andere Polizist*in ein Arschloch ist: „Diese Rollenspiele [des Guten und Bösen] fördern auch die Entstehung einer Verbindung zwischen dem Verhörten und dem zweiten Ermittler, der normalerweise und vorzugsweise der Ältere ist; schlussendlich ist er es, der das Interview führt.“„So kann der Verdächtige, nachdem er mit mit einem hartnäckigen, harten Ermittler konfrontiert wurde, der ihm Schuldgefühle unterschob, gegenüber dem Älteren, wohlwollenden und aufmerksamen Ermittler durch ein Geständnis auf eine befreiende Wirkung hoffen. Der „freundliche“ Polizist wird dadurch zum guten Patriarchen, zum modernen Priester dessen wohlwollendes Lächeln die Beichte ins Rollen bringen soll. Und das Sühnegebet ist in diesem Fall die anfallenden Tagesgelder.
Schweigen ist Gold
Für den*die Polizist*in, der*die in der verdächtigten Person nach einem neuen*neuer Freund*in sucht, ist nichts trauriger als wenn sich ihr Gegenüber in Schweigen hüllen. Laut den Autoren wäre Schweigen sogar ein Fehler, denn es gibt nichts gesellschaftlich Unbehaglicheres als ein Schweigen:„häufig durchbricht Schweigen das Verhör oder die Anhörung. Es ist unangenehm für die Ermittler wie auch für die befragte Person, da diese sodann ein angstauslösendes Gefühl entwickelt.“ Wir notieren also; die Polizei will, dass du redest, weil sie Angst vor dem Schweigen hat.
Noch schlimmer, das Schweigen ist der schlimmste Feind der Polizei, da es die Mauer ist, gegen die ihre Strategien zur Sammlung von Informationen und Beweisen zerschlagen werden kann. Darüber hinaus, bei fehlendem Gegenargument angesichts des Schweigens greifen die Bullen auf die emotionale Ebene zurück. So schlagen unsere Polizisten vor, dass „Schweigen kein günstiges Bild von der verdächtigen Person vermittelt“, denn „alle wissen, dass eine unschuldige Person sehr oft behauptet, dass sie sich nichts vorzuwerfen hat.“ Das Beispiel, das verwendet wurde, um über eine widerspenstige verdächtigte Person zu sprechen, ist offensichtlich das eines Pädophilen. Welche andere Art von Perverser würde es wagen, den Mund zu halten oder die Polizei anzulügen??
Aus diesem Grund bekämpft die Polizei das Schweigen durch Emotionen, insbesondere durch Schuldgefühle (die wichtigsten Strategien gegen das Schweigen werden im Folgenden beschrieben). Es sei daher daran erinnert, dass nicht die Polizei über die Schuld einer verdächtigen Person entscheidet. Trotz ihrer Geständnisphantasien ist es immer noch der*die Richter*in der*die letztlich über das Schicksal der angeklagten Person entscheiden werden. Vertrauen wir den Profis: Sässe ein*e Polizist*in auf der anderen Seite des Verhörtisches, würde er*sie wohl auch auf eiserners Schweigen setzten.
Die während der gesamten Lektüre gesammelten Sätze deuten ganz klar darauf hin, dass das Schweigen eine gute Lösung ist, da die Polizei immer durch die Sprache versucht, verdächtigte Personen einzuengen. Wenn die Aussagen der verdächtigen Person sich widersprechen, besteht die Möglichkeit, dies gegen sie zu verwenden. So sind aufgedeckte Lügen, gestützt durch verschiedene Beweisbündel, manchmal ausreichend, für einen*eine Richter*in, sich eine feste Überzeugung zu bilden.
Denken wir daran, dass Schweigen (oder die Verweigerung, jegliche Fragen zu beantworten) während des Polizeigewahrsams oder eines Verhörs ein auszunutzendes Grundrecht ist und dass es oft die beste Strategie ist, um zu vermeiden, sich oder seinen Freunden noch grössere Schwierigkeiten einzubrocken.
[(Verhörmethoden:
Reuevolle verdächtigte Person (einfaches level)
- Ermutigen, die Wahrheit zu sagen, Verhaltensänderungen betonen, beispielsweise wenn über das Opfer gesprochen wird;
- Fakten minimieren;
- Komfort spenden, trösten;
- Die verdächtigte Person glauben lassen, dass ihr Verhalten enttäuschend war;
- Den Anschein erwecken, dass ihre Handlungen nicht verraten werden, um so andere Einflüsse zu minimieren
- Andere Akteure (Familie, Komplizen, Gesellschaft, etc.) beschuldigen;
Reuebewusste verdächtigte Person (Level 2)
- Zweifel wecken, indem Elemente der Untersuchung angeben werden (ohne zu lügen);
- Die verdächtige Person denken lassen, dass sie die Einzigen ist, die bezahlen wird, wenn es mehr als eine verdächtige Person gibt;
- Der Eitelkeit der verdächtigten Person schmeicheln / sich über ihre Schwächen lustig machen;
- Die verdächtigte Person zur Lüge drängen, damit die Lügen im Protokoll stehen und widerlegt werden können;
Verdächtigte Person, die die Aussage verweigert (Hardcore Level)
- Die Trichterstategie – immer spezifischere Fragen stellen und die verdächtigte Person dazu bringen, sich selbst zu widersprechen;
- Das Kartenspiel – für eine verdächtigte Person, die versucht, herauszufinden, was die Polizei weiß, Fakten in Scharen enthüllen, um so Erklärungen zu erhalten;
- Emotionale Überfluss – die Gefühle hochbringen, die die verdächtigte Person während der angeblichen Begehung der Tat empfand, um Reue zu erzeugen;
- Der unbewusste Akzeptanzmechanismus – Fragen stellen, die die verdächtigte Person nur mit einem „Ja“ beantworten kann, da dies die folgenden „Ja“s erleichtern würde;
- Naivität – um das Misstrauen der verdächtigten Person gegenüber dem Ermittler zu verringern;
- Emotionale Ansteckung – die Emotionen der verhörenden Person sind ansteckend, damit soll gespielt werden
- Versetzte Interviews – der gleichen Fragestellung folgen, für mehrere Verdächtige, die im gleichen Fall involviert sind, um Diskrepanzen zu
Falls ihr das Buch lesen möchtet, hier der Hinweis: „Les secrets des interrogatoires et des auditions de police : Traité de tactiques, techniques et stratégies“ von Olivier Guéniat, Starlet, Kriminologe, Mitglied der Sozialistischen Partei und Kommandant der Jurapolizei, und Fabio Benoît, Kommissar der Neuenburger Kriminalpolizei. Veröffentlicht im Jahr 2012 von der EPFL Presses polytechniques et universitaires romandes.
P.S. Dieser Artikel wurde freundlicherweise von einer Person aus unserem Übersetzungspool übersetzt. Original Artikel hier.