[Russland] Netzwerkprozess beginnt in Petersburg

Die Angeklagten im Fall Network Viktor Filinkov und Yuli Boyarshinov im Käfig bei Gericht. Filinkov (links) trägt ein Sweatshirt mit dem Slogan „Your tasers can’t kill our ideas“. Foto von Alexander Koryakov. Mit freundlicher Genehmigung von Kommersant

Quelle: rupression, übersetzt von abc wien

In St. Petersburg hat der Gerichtsprozess im Falle der „anarchistischen terroristischen Vereinigung“ Network begonnen. Viktor Filinkov, ein 24-jähriger Programmierer, und Yuli Boyarshinov, ein 27-jähriger Industriekletterer, werden beschuldigt, Teil des Networks zu sein. Föderationsratsmitglied Lyudmila Narusova, die an der Anhörung teilnahm, wies darauf hin, dass die „Fähigkeit zum Werfen von Granaten“ Mitgliedern der patriotischen Jugendbewegung „Yunarmiya“ offiziell beigebracht wird – und von der Anklage als Beweis gegen die Angeklagten verwendet wird. „Dieser Fall hat mit der Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun“, stellte Narusova fest.

Der Fall Filinkov und Boyarshinov wird in St. Petersburg vor dem Moskauer Bezirksmilitärgericht verhandelt. Im Januar verurteilte das gleiche Gericht Igor Shishkin, der einen Deal mit Ermittlern in diesem Fall eingegangen war, zu dreieinhalb Jahren Gefängnis. Anschließend setzte das FSB das „Network“ auf die russische Liste der verbotenen Organisationen.
Im Gerichtssaal war nicht genug Platz, so dass nicht alle Zuschauer*innen bei der Verhandlung anwesend sein konnten. Narusova und der Bürgerrechtler und ehemaliges Mitglied der Staatsduma Yuli Rybakov waren anwesend.

Als bewaffnete Wachen die Angeklagten in den Gerichtssaal führten, wurde ihnen applaudiert.

Während der Untersuchung erklärten Filinkov und drei junge Männer in Pensa, dass sie mit Stromschlägen gefoltert worden seien. Boyarshinov behauptete, dass die Bedingungen im Untersuchungsgefängnis einer Folter gleichkämen. Beide Männer haben beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) in Straßburg Beschwerde eingelegt.

Rechtsanwalt Vitaly Cherkasov beantragte, seinen Angeklagten Filinkov während der Anhörung neben sich sitzen zu lassen, und nicht im Käfig, da er weder Einträge im Strafregister noch eine Vorgeschichte von Gesetzeskonflikten hat.

Die Anwesenheit von Bereitschaftspolizei, regulärer Polizei und Gerichtsvollziehern im Gerichtssaal sowie die Erwähnung internationaler Normen durch Cherkasov, wie die Dinge beim EHCR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) gehandhabt werden, und der Befehl von Premierminister Dmitri Medwedew an seine Untergebenen, Möglichkeiten für ein Verbot der Nutzung des Käfigs in russischen Gerichtssälen zu prüfen, hinterließen keinen Eindruck auf das Gericht. Beide Angeklagte blieben für die gesamte Verhandlung im Käfig eingesperrt.

Der Anklage zufolge wurde die so genannte anarchistische terroristische Vereinigung spätestens im Mai 2015 von Dmitri Pchelintsev (der in Pensa verhaftet wurde) und einer nicht identifizierten Person gegründet. Sie rekrutierten die sieben Angeklagten des Falles, der vom Büro des FSB in Penza untersucht wurde. Nach der Etablierung der Gruppe wird ihnen vorgeworfen, „Rollen untereinander zugewiesen und Wege zur Begehung von Verbrechen ausgelotet“ zu haben, um das Regime zu stürzen. Nach Angaben der Anklage planten sie, „Kampfgruppen einzurichten und Personen zu rekrutieren, die ihre anarchistische Ideologie teilten“ um dieses Ziel zu erreichen.

Das Büro des FSB in Petersburg hat behauptet, dass die Angeklagten zu diesen Rekruten gehörten. Filinkov wurde vorgeworfen, sich freiwillig als „Funker“ der Gruppe gemeldet zu haben, während Boyarshinov angeblich ihr „Pionier“ war.

Nachdem die Anklage vorgelesen worden war, fragte Richter Roman Muranov die Angeklagten, ob sie sie verstanden hätten.

„Nein“, antwortete Filinkov.

Die Staatsanwaltschaft behauptet, Filinkov habe versprochen, „sich mit den Statuten der Gruppe vertraut zu machen, ein Pseudonym, Datenverschlüsselungssoftware und konspirative Methoden zu verwenden und [seine] Kampffähigkeiten zu erwerben und zu verbessern“.

Darüber hinaus sollte Filinkov „die Mitglieder mit Kommunikationsgeräten versorgt haben“, ihnen Verschlüsselung beigebracht, „andere Personen rekrutiert, Verbrechen während der Treffen diskutiert und geplant, an Kursen über Taktik, Aufklärung, Sabotage und Kampf sowie den Einsatz von Waffen und Sprengstoffen teilgenommen und sich das Wissen angeeignet haben, das unter extremen Umständen und Kampfbedingungen notwendig ist“.

„Als die Zeit kam, zu aktiven Operationen zur Erreichung des objektiven Teils der Verbrechen überzugehen“, stimmte Filinkov angeblich zu, „zu mobilisieren und bereit zu sein, die Ziele der terroristischen Gemeinschaft zu erreichen“.

„Ich verstehe weder die Quelle dieser Briefe noch wie die Anklage eine Erfindung sein kann, und nicht etwas, das aus den Beweisen hervorgeht“, sagte Filinkov.

Nachdem er ähnliche Anklagen gegen ihn gehört hatte, gab Boyarshinkov seine Schuld zu und war bereit, bevor die Beweisaufnahme stattfand, auszusagen.

Nach der Anhörung sagte die Abgeordnete Narusova, dass die im Zusammenhang mit der Kampfausbildung stehenden Vorfälle, wie in der Anklage beschrieben, nichts mit dem Gesetz zu tun hätten.

„Die Yunarmiya führt offiziell eine Kampfausbildung unter der Schirmherrschaft von Verteidigungsminister Sergej Shoigu durch. Den Kindern wird beigebracht, Granaten zu werfen, und sie lernen Kampftaktiken. Frag Shoigu, warum die gesamte Yunarmiya damit beschäftigt ist, Kampffertigkeiten zu erlernen?“ sagte Narusova.

„Ein Mitglied des Föderationsrates sagte kürzlich, dass Kinder in der Lage sein sollten, Granaten zu werfen“, fuhr Narusova fort.

Sie verwies auf eine kürzliche Erklärung des Mitglieds des Föderationsrates Viktor Bondarev, der vorgeschlagen hatte, die grundlegende Kampfausbildung in russischen Schulen wieder aufzunehmen. Er behauptete, empört zu sein, dass die Kinder nicht wussten, wie man Granaten wirft und Angst vor Maschinengewehren hatten.

Frau Narusova sagte, dass sie einen Gesetzentwurf erarbeitete, der Folter kriminalisieren würde. Sie sagte auch, dass geplant sei, dem Fall Network auf den Grund zu gehen.

„Dieser Fall hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun“, stellte Narusova fest.

In ihrer Zeugenaussage bestanden die Angeklagten darauf, dass sie die vermeintlichen Fähigkeiten zur Selbstverteidigung erlernten, angesichts der Zahl der in den letzten Jahren in verschiedenen Teilen Russlands ermordeten Antifaschist*innen.

Filinkov erwähnte insbesondere die Morde an Timur Kacharava, Stanislav Markelov und Anastasia Baburova. Er berichtete, dass er und seine Freund*innen während seines Studiums an der Universität Omsk von „Rechtsradikalen, Neonazis und Faschist*innen“ angegriffen worden seien, darunter auch Provokateure, die, wie er behauptete, Verbindungen zu Strafverfolgungsbehörden hätten.

Laut Filinkov waren die Angreifer in diesen Auseinandersetzungen mit „Messern und Elektroschockern“ bewaffnet.

Nach Abschluss der Untersuchung reichte der Direktor der Schule die Filinkov besuchte, ein glühendes Empfehlungsschreiben ein. In dem Schreiben steht, dass der Beklagte immer Respekt vor dem Gesetz gezeigt habe, freundlich, gewissenhaft und verantwortungsbewusst sei. Er sei ein ausgezeichneter Schüler gewesen und habe einen Preis bei einem akademischen Astronomiewettbewerb in Baikonur gewonnen.

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