quelle: schwarzerpfeil.de
Es sind zwei Jahre vergangen seit der Welle der Massendemonstrationen, die am 18. Oktober 2019 begann und viel länger auf den Straßen dauerte, als die Medien „berichteten“. Viele von uns haben vielleicht in irgendeiner Form an diesen Ereignissen teilgenommen. Und jetzt, nach dem Rückgang und anlässlich des Jahrestages, gibt es ein paar Dinge, auf die es sich lohnt hinzuweisen, immer mit dem Ziel, die Kritik zu schärfen und den Konflikt fortzusetzen.
(I) Revolte(n) und Konfrontation während des Jahrhunderts der $chilenischen Demokratie.
Die „Revolte“, wie sie von vielen genannt wurde, bedeutete einen allgemeinen Bruch der „Normalität“, die von den Demokratien in diesem Gebiet während des 21. Jahrhunderts gefestigt wurde. Diese Art von „kritischen“ Momenten ist keiner Regierung fremd, und wir müssen unbedingt berücksichtigen, dass der Konflikt mit dieser Normalität schon vorher bestand und auch nach den Ereignissen des 18. Oktober weiter besteht. Deshalb dürfen wir all die Angriffe und Konfrontationen nicht vergessen, die bisher in dieser Zeit stattgefunden haben, auch wenn sie definitiv nicht die Wucht oder Massivität der Ereignisse vom 18. Oktober hatten (und wahrscheinlich auch nicht wollten).
Wenn Konflikte und Gewalt gegen diese Normalität nichts Neues sind, dann erst recht nicht die Folgen, wenn man sich auf diesen Weg begibt. Das Gefängnis ist nicht neu auf der Bildfläche, und weit entfernt von allen Erzählungen über die Opferrolle, ist es ein „Berufsrisiko“. Auch wenn die „Gefangenen der Revolte“ eine größere Medienpräsenz genossen haben und ihre Situation und Dynamik ganz anders ist als die der anarchistisch-subversiven Gefangenen, wird das Gefängnis denjenigen, die ihre Wünsche nach Zerstörung der Realität, die uns zerstört, ständig verwirklicht haben, nie fremd sein.
An all diejenigen, die in der Ära der $hilenischen Demokratie nicht den institutionellen Wegen gefolgt sind und die eine unbestreitbare Quelle der Inspiration und des Lernens für diejenigen von uns waren, die den gleichen Weg eingeschlagen haben, aber auf „unsere“ Art und Weise… wir vergessen euch nicht! Die antikapitalistische und autonome Subversion, der Widerstand (weixan) der Mapuche und die Explosionen der Bomben haben nicht auf die massiven Straßendemonstrationen gewartet, um die vernichtende Realität des Kapitalismus und der Demokratie zu durchbrechen. Und das schmälert nicht den Ausbruch der „Revolte“ im Oktober oder stellt ihn in Frage, sondern zeigt nur, dass einige schon lange in ständiger Revolte sind.
Es gibt nichts und niemanden, auf den man warten muss.
(II) Der prophezeite Tod: die Institutionalisierung der „Revolte“.
An diesem Punkt gibt es keinen Zweifel, dass das, was am 18. Oktober auf der Straße und durch Vandalismus begann, seinen Todesstoß an der Wahlurne erhielt. Die Unverfrorenheit einiger Kandidat_innen der neuen Institution (des Verfassungskonvents) führte sogar dazu, dass sie Bilder von Straßengewalt als Teil ihrer Wahlpropaganda verwendeten.
Auch das ist nichts Neues. Die Geschichte hat uns zahlreiche ähnliche Beispiele geliefert, die zeigen, dass es weit davon entfernt ist, Unruhen in der auferlegten Ordnung zu „zerschlagen“ und völlig zu unterdrücken, sondern dass es dieser Ordnung viel besser dient, sie für sich arbeiten zu lassen, sie zu kontrollieren, sie in institutionelle Bahnen zu lenken und sie als „soziale Bewegungen“ zu behandeln. Aus diesem Grund haben sich diejenigen, die als Gesichter der neuen, demokratischeren Regierung auftraten, von den Konflikten und der Gewalt, die entfesselt wurde, distanziert, nachdem sie den Kampf auf der Straße vergöttert hatten, um das korrekte und saubere Bild der „Wähler_innenschaft“ aufrechtzuerhalten. Das ist keine „Kehrtwende“, sondern eine klare Demonstration ihrer Berufung als professionelle Opportunist_innen. Wer „von der Straße“ in den Sitz gekommen ist, ist nichts anderes als ein_e Kollaborateur_in der Herrschaft und tut nichts anderes, als diese zu perfektionieren.
Wenn die Demonstrationen dadurch neutralisiert wurden, dass die Regierung mit viel Spektakel einen Teil ihrer Macht an Vertreter_innen der Mehrheiten abgab, dann ging es vielen, die auf die Straße gingen, um nichts anderes als um die Optimierung der Regierungsführung. So gesehen war die „Revolte“ nicht für alle eine solche. Einige wollten einfach ihre Ketten verbessern und sogar neue aufbauen, anstatt sie zu zerstören.
Dabei wissen wir, dass das große Problem bei Massenprotesten darin besteht, dass es keine Gewissheit darüber gibt, wer auf deiner Seite ist. Es könnte ein_e Sympathisant_in oder ein_e Infiltrator_in sein, oder schlimmer noch, ein_e Bürger_in, der*die bereit ist, dich zu verraten, weil Gewalt „nicht der richtige Weg“ ist. Es ist unbestreitbar, dass die Zeit der größten Intensität dieser „Explosion“ von großem Nutzen war, um Anschläge zu verüben und unsere zerstörerischen Wünsche in konkreten Momenten zu verwirklichen, aber es ist zweifellos notwendig, sich von dem Narrativ zu distanzieren, das um sie herum aufgebaut wurde, da es uns wieder zur Passivität der Bürger_innen führt und alle Gewalt als Zeichen der Unzufriedenheit des Volkes gegen eine bestimmte Art des Managements und/oder der Regierung(en) verschleiert und nicht gegen die Existenz der Regierung, der Autorität, der mit ihr verbündeten Gesellschaft und ihrer Wächter.
(III) Etwas Selbstkritik und die einzige Gewissheit
„Wir wollen keine anderen Optionen oder einen Konsens mit den Etablierten. Wir sind für die Gewalt, die nicht nachlässt oder stagniert, für die Gewalt, die in der Lage ist, sich neu zu formulieren, die bricht und innovativ ist.“ (Joakin Garcia)
Wie Joakins Worte zeigen, müssen wir wissen, dass wir in der Lage sind, uns neu zu erfinden, uns selbst zu kritisieren und aus unseren Fehlern und Erfolgen zu lernen. Und zwar immer außerhalb der Kompliz_innenschaft, die der Konsens und die friedliche Koexistenz mit der etablierten Ordnung und der „Normalität“ darstellen, was auch immer das sein mag.
Vielleicht ist die einzige Lehre, die wir aus Erfahrungen wie dem 18. Oktober ziehen können, wenngleich sie auch nicht neu ist, dass der Konflikt gegen diese Realität weitergehen muss: Und dieser Konflikt bestand schon vor und nach den massiven Brüchen und wurde von all denen am Leben erhalten, die ihn als Lebensoption gewählt haben. Wenn wir uns gegen jede Autorität, gegen die materiellen und immateriellen Käfige, den techno-industriellen Kapitalismus, der den Planeten zerstört, und all das, was wir verabscheuen, positionieren wollen, muss dieser Konflikt durch unser Handeln fortbestehen.
Konflikt, Konfrontation. Das ist der einzige Vorschlag, denn es ist die einzige Gewissheit, die wir haben, um die Gegenwart zu unserer eigenen zu machen. Es ist das Einzige, was wir mit unseren eigenen und immer unterschiedlichen Fähigkeiten, unseren Assoziationen, unserem Handeln und unserem eigenen Tempo zu verwirklichen versuchen können.
Ohne Eile, aber auch ohne Unterbrechung. Ohne das Bedürfnis, dem Tempo „der Straße“ oder „der Masse“ zu folgen, auch wenn das für viele erstrebenswert sein mag. Zumindest für mich ist es das nicht, vor allem nicht in diesem Moment, in dem die demokratische Normalität dank der Ereignisse auf der Straße neu formuliert wurde. Wir können bekräftigen, dass wir die Mehrheit nicht brauchen, dass wir sie nicht anstreben und dass wir sie nicht vergöttern, genauso wenig wie wir Minderheiten, rupturistische Eliten oder Avantgarden vergöttern. Das Spiel und der Widerspruch zwischen Mehrheit und Minderheit sollte der institutionellen Politik überlassen werden. Für uns sollten Taten wichtiger sein als Worte, um zu bestimmen, auf welcher Seite wir stehen.
Der Konflikt hat nie aufgehört, lass ihn in all den unruhigen Herzen, Köpfen und Körpern bleiben.
Unsere Revolte soll nicht länger ein Meilenstein und/oder ein Jahrestag sein, sondern unser Alltag werden.
Nicht mitschuldig, nicht passiv!
Aktiver und aggressiver Widerstand gegen diese beschissene Realität!
Eine Umarmung für jeden Kriegsgefangenen und für alle, die kämpfen. Eine heftige Ermutigung für diejenigen, die sich weiterhin da draußen verschwören, und eine wütende Träne, die zu einer Flutwelle wird, für Kevin und alle Gefallenen.