[Griechenland] Dimitris Koufontinas: Ein Sieg des Lebens, nicht des Todes

Quelle: enough is enough

Der kaltblütig geplante staatliche Mord an Dimítris Koufontínas wurde im letzten Moment durch den Inhaftierten selbst verhindert. Nach Wochen, in denen täglich zehntausende Griech*innen für seine Forderung und gegen Polizeigewalt auf die Straße gingen, unterbrach Koufontínas am 14. März 2021 nach 66 Tagen seinen Hungerstreik.

„Im Bewusstsein der Bevölkerung hat sein Kampf um Gerechtigkeit gesiegt. Es ist ein Sieg des Lebens, nicht des Todes“, betonten unterstützende Anwälte.

Das Exempel, das die außerhalb des Rechts und immer authoritärer agierende Regierung, an dem seit 2002 Inhaftierten statuieren wollte, hatte nichts mehr mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und demokratischen Werten zu tun. Die Entscheidungen von Ministerpräsident Kyriákos Mitsotákis, seines „Bürgerschutzministers“ Michális Chrysochoídis, und der für die Haftanstalten zuständigen Generalsekretärin für Antikriminalitätspolitik, Sofia Nikoláou, wurzeln auf Hass, persönlicher Rache und reaktionärem Größenwahn. Überzeugt davon Kraft ihrer Macht niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, betreiben sie die gezielte Vernichtung eines Menschen. Gestützt auf die Regierungspartei Néa Dimokratía (ND), auf die durch millionenschwere Coronazuschüsse gekauften Massenmedien, auf die US-Botschaft in Athen, und eine losgelassene Polizeiarmee. Seit Monaten prügeln, verhaften und foltern deren Sondereinheiten, verschießen Tränengas und Blendschockgranaten und genießen absolute Straffreiheit.

Ja, Koufontínas hat mächtige Feinde die ihn noch immer lieber tot als lebendig sähen. Und ja, die Verlegung nach Korydallós hat er nicht erreicht. Doch erstmals seit Machtübernahme der ND, haben Zehntausende ihre Angst überwunden und sich den Polizeitruppen auf der Straße mit Erfolg entgegengestellt.

Seit dem 8. Januar 2021 befand sich Koufontínas im Hungerstreik. Seit Tagen hing sein Leben am sprichwörtlichen seidenen Faden. Der seit 19 Jahren Inhaftierte ist das mit Abstand bekannteste Gesicht der 2002 zerschlagenen „Revolutionären Organisation 17. November“ (17. N). Im Gegensatz zu anderen verurteilten ehemaligen Mitgliedern, hat Koufontínas die politische Verantwortung für die Taten der Organisation übernommen und nie Reueerklärungen abgegeben. Genau das werfen ihm maßgebliche Politiker*innen der ND, allen voran der mächtige Mitsotákis-Clan seit Jahren vor. Sie knüpfen damit an die Tradition des Metaxá-Faschismus (1936-41) und der Militärdiktatur (1967-74) an. Inhaftierte linke, anarchistische und kommunistische Oppositionelle mussten Reueerklärungen unterschreiben und sich von linken und kommunistischen Organisationen distanzieren um aus der Haft entlassen zu werden. Viele derjenigen, die nicht abschworen, starben durch Folter oder Hinrichtung.

„Die Demokratie lässt sich nicht erpressen“ – lautete die penetrant wiederholte Phrase der ND-Regierung auf Koufontínas´ Forderung. Eine „Demokratie“ von Mitsotákis´ Gnaden. In der eine mächtige Familie über das Leben Inhaftierter bestimmt. 2003 wurde Koufontínas wegen Mitgliedschaft im 17. N und der Beteiligung an einigen der von der Organisation begangenen Morde zu 11 mal lebenslänglich plus 25 Jahre verurteilt. Als er 2018 erstmals Hafturlaub erhielt und in ein Agrargefängnis verlegt wurde – dort können Inhaftierte mit Feldarbeit die Strafzeit vermindern – nahm die Kampagne von ND, US-Botschaft und rechter Presse gegen ihn Fahrt auf. Eines der Opfer des 17. N war 1989 der konservative Politiker Pávlos Bakogiánnis, Schwager des heutigen Ministerpräsidenten, Ehemann der früheren Außenministerin und heutigen ND-Parlamentarierin, Vater des aktuellen Bürgermeisters von Athen. 1975 war das erste Opfer des 17. N, der CIA-Chef in Athen, Patrik Welch, weitere 4 Offiziere des US-Geheimdienstes und der US-Armee folgten.

Seit 2018 kündigten ND und Mitsotákis wiederholt an, die Verlegung von Koufontínas in ein Agrargefängnis und alle Hafterleichterungen rückgängig zu machen. Gesagt, getan, womit Sie erneut bewiesen, dass in Griechenland nicht gleiches Recht für alle gilt (Sonderrechte für korrupte Politiker*innen, Privilegien fürs Großkapital und Straffreiheit für gewalttätige Bullen sind auch so deutlich genug). Nun kam die Doppelt- und Dreifachbestrafung, 20 Jahre nach dem juristischen Urteil hinzu. Mit Artikel 3 des Gesetzes 4760/2020 wurde Ende letzten Jahres eine eigens auf Koufontínas zugeschnittene Vorschrift erlassen. „Es ist verboten, wegen Terrorismus Verurteilte in Agrargefängnisse (…) zu verlegen“, heißt es dort. Der einzige deshalb Verurteilte in einem Agrargefängnis war Koufontínas. Mit dem gleichen Gesetz verlor er das Recht auf Hafturlaub, der ihm schon seit Regierungsantritt der ND 2019 unrechtmäßig verweigert wird. Obwohl allen, die mindestens 8 Jahre Haft abgesessen haben, Hafturlaub zusteht. Nur für „Linksterroristen“ gilt dies nicht mehr da nur Linke wegen Terrorismus verurteilt werden.

Laut Gesetz hätte Koufontínas zumindest zurück ins Gefängnis Korydallós bei Athen verlegt werden müssen, wo er die ersten 16 Jahre seiner Haft verbrachte. Stattdessen wurde er ins zukünftige Hochsicherheitsgefängnis Domokós verschleppt. All seine Verlegungsanträge wurden mit fadenscheinigen Gründen und Lügen abgelehnt. Dies als Ergebnis einer weiteren Reform, die dem Justizapparat die Kontrolle über die Haftanstalten entzog und sie direkt „Bürgerschutzminister“ Chrysochoídis unterstellte. Dem in der USA ausgebildeten „Minister zum Verprügeln der Bürger“ (Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón), dem 2002 auf dem gleichen Posten, noch als Pasok-Mitglied, in enger Zusammenarbeit mit der CIA die Zerschlagung des 17. N gelang.

Koufontínas Hungerstreik war ein politischer Akt des Protests und der Notwehr. Konsequent nahm er – „statt mich wie Dreck behandeln zu lassen“ – dabei auch den eigenen Tod in Kauf. Und er erhielt viel Unterstützung. Durch den Bürgeranwalt, eine unabhängige Behörde mit dem Recht Gefängnisse zu betreten und Beschwerden zu prüfen. Durch Amnesty International, unzählige Gewerkschaften, linke und anarchistische Organisationen, Rechtsanwältevereinigungen, die Staatsanwältevereinigung, Uniprofessor*ìnnen, mehr als 1000 Schauspieler*innen, Musiker*innen und 1250 Rechtsanwält*innen, die sich namentlich für seine Forderung stark machten. Die Fraktionen von Syriza, Mera25, KKE und der sozialdemokratischen Pasok-Nachfolge Kinal forderten „Rechststaatlichkeit für Koufontínas“. Und trotz brutaler Polizeirepression demonstrierten Zehntausende täglich in Athen und anderen Städten.

„Ich danke allen Freund*innen und Genoss*innen für ihre Solidarität und allen fortschrittlichen Menschen für ihre Unterstützung. Diese galt nicht einem einzelnen Menschen, sondern einem Moment des Kampfes gegen eine unmenschliche Regierung“, so Koufontínas in der durch seine Anwältin Joánna Kourtovik veröffentlichten Erklärung am 14. März 2021. „Was jetzt draußen auf den Straßen geschieht ist viel größer als das wofür es begonnen wurde. Mit meinem Herzen und in meinen Gedanken, bin ich mit euch auf der Straße.“

Koufontínas hat überlebt. Mitsotákis und Chrysochoídis werden sich nicht als seine Mörder verantworten müssen. Und auch die der Beihilfe durch Unterlassung verdächtige CDU, alle in der EVP zusammengeschlossenen konservativen Parteien, und die EU-Kommission, die sich „nicht in innere juristische Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten einmischen“ wollten, werden sich bestätigt sehen. „Die Demokratie lässt sich nicht erpressen.“ Als Anarchist*innen, Autonome und Linksradikale sollten wir innehalten und überlegen, ob es sich weiterhin lohnt für „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ zu kämpfen. Wie wir es – um Schlimmeres zu verhindern – seit Jahrzehnten tun. Oder ob wir sie nicht endlich zum Teufel jagen, ihre „Demokratie“ demaskieren und ihnen die Macht entreißen. No Justice, no Peace!

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