Lucio Urtubia: Ein anarchistisches Leben

Quelle: enough is enough

Sozialer Rebell, Geldfälscher, Bandit, moderner Robin Hood – die Liste der Titel, mit denen Lucio Urtubia beehrt wurde, ist lang. Sein Leben, das wie ein Abenteuerroman klingt, ist ei Spiegel der revolutionären Bewegungen Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Lucio Urtuba ist heute verstorben. Rest In Power Lucio!

Publiziert von Enough 14. Der erster Teil wurde ursprünglich von Assoziation A veröffentlicht. Der zweiter Teil wurde von Marie Trigona geschrieben, und ursprünglich von Toward Freedom veröffentlicht. Übersetzung 2. Teil von Enough 14.

Lucio Urtubia wird 1931 in einem kleinen Dorf in Navarra geboren und wächst unter ärmlichen Verhältnissen auf. Als er zum Militär eingezogen wird, desertiert er wenig später nach Frankreich, wo er fortan als Maurer arbeitet. Er bekommt Kontakt zu anarchistischen Gruppen und lernt seinen politischen Ziehvater kennen: den legendären Sabaté, der von Frankreich aus den bewaffneten Widerstand gegen die Franco-Diktatur organisiert. Fälschen von Dokumenten, Verstecken von Untergrundkämpfern und illegale Geldbeschaffungsaktionen spielen fortan in seinem Leben eine erhebliche Rolle. Zahlreiche Widerstandsorganisationen, die in Frankreich eine Operationsbasis haben oder einen Rückzugsraum suchen, profitieren von seinen Fertigkeiten: Black Panthers, Tupamaros, europäische Guerillas. Jedem Akt der Revolte, der auf eine gerechtere Gesellschaftsordnung zielt, gilt Lucios Solidarität.

1962 schlägt er dem damaligen Leiter der Nationalbank Kubas, Che Guevara, vor, den Weltmarkt mit gefälschten Dollarnoten zu überschwemmen, um die US-amerikanische Wirtschaft zu destabilisieren. Der Vorschlag stößt auf kubanischer Seite auf wenig Gegenliebe, doch der Gedanke bleibt in Lucio lebendig. 1980 gelingt ihm sein größter Coup: Durch den Druck von Travellerschecks der Citibank im Wert von mehreren Millionen Dollar zwingt er die damals mächtigste Bank der Welt in die Knie.

Die Liste seiner Aktivitäten ist damit nicht erschöpft. Doch Lucio ist auch ein Meister der Konspiration, dem in seinem nicht gerade gesetzestreuen Leben das Kunststück gelingt, nur ein paar Monate im Gefängnis zu verbringen. Erst mit weit über 70 Jahren bricht er das Schweigen. Ein Buch über ihn erscheint, ein Film (Den Film könnt ihr euch unterhalb des Artikels ansehen) wird gedreht.


Das Buch Baustelle Revolution – Erinnerungen eines Anarchisten von Lucio Urtubia ist u.a. im Enough Info-Café (Wiesenstraße 48, 42105 Wuppertal ) erhältlich.

Lucio, der gute Bandit: Reflektionen eines Anarchisten

Marie Trigona, Toward Freedom (05/06/2008). Übersetzt von Enough 14.

Freimütig und charismatisch spricht Lucio wie ein wahrer Anarchist. Auf die Frage, was es bedeutet, Anarchist zu sein, widerlegt Lucio die falsche Wahrnehmung, die viele Menschen von einem „Terrorist*in“ haben.: „Der Anarchist ist eine Person, die im Herzen gut und verantwortungsbewusst ist“. Dennoch entschuldigt er sich nicht für die Notwendigkeit, die gegenwärtige Gesellschaftsordnung zu zerstören: „Es ist gut, gewisse Dinge zu zerstören, weil man an ihrer Stelle Dinge baut und sie damit ersetzt“.

Lucio hat alte Freunde im Südkegel. Die Gelder der Fälscher*innen halfen Hunderten von revolutionären Organisationen im Exil und finanzierten geheime Aktionen gegen die blutigen Diktaturen, die in den 1970er Jahren in ganz Lateinamerika Zehntausende von Aktivist*innen, Studentinnen und Arbeiterinnen verschwinden ließen. Mit den Geldern aus gefälschten Reiseschecks der Citibank wurden in Uruguay die Guerillagruppe Tupamaros, in den USA die Black Panthers und andere revolutionäre Gruppen in ganz Europa finanziert.

Während seines kürzlichen Besuchs in Südamerika übernachtete Lucio im von Arbeiter*innen geführten BAUEN Hotel in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires. Er war verblüfft über die Leistungen der Arbeiter*innen ohne Chef. Im BAUEN-Hotel setzen die Arbeiterinnen und Arbeiter Autogestíon oder Selbstverwaltung in die Praxis um. Die Selbstverwaltung ist seit der Geburt des Kapitalismus ein Grundpfeiler des anarchistischen Denkens. Statt Autorität – gehorche der Beziehung zwischen Kapitalistinnen und Arbeiterinnen – bedeutet Selbstverwaltung, dass die Arbeiter*innen ein egalitäres System in die Praxis umsetzen, in dem die Menschen kollektiv ihre eigenen Schicksale zum Wohle der Gemeinschaft entscheiden, produzieren und kontrollieren. Aber damit ein solches System funktionieren kann, müssen die Teilnehmer*innen hart arbeiten und Verantwortung übernehmen, eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Mann oder eine Frau laut Lucio haben sollte. „Die anarchistische Bewegung wurde von Arbeiter*innen aufgebaut. Ohne Arbeit können wir nicht über Selbstverwaltung sprechen, um Selbstverwaltung in die Praxis umzusetzen, müssen wir wissen, wie man Dinge tut, wie Mensch arbeitet. Es ist leicht, Bohème zu sein.“

Lucio erklärt, dass sein Anarchismus in seiner armen Kindheit im faschistischen Spanien begründet ist. „Meine anarchistischen Ursprünge wurzeln in meiner Erfahrung, in einer armen Familie aufzuwachsen. Mein Vater war Linksradikaler, war ins Gefängnis gegangen, weil er die Autonomie des Baskenlandes wollte. Für mich ist das keine Revolution, ich bin kein Nationalist. Mit dem Nationalismus hat die Menschheit viele Fehler begangen. Als mein Vater aus dem Gefängnis kam, wurde er Sozialist. Wir haben viel gelitten. Ich ging Brot suchen und der Bäcker wollte es mir nicht geben, weil wir kein Geld hatten. Für mich war die Armut eine Bereicherung, ich brauchte keine Anstrengungen zu unternehmen, um den Respekt vor dem Establishment, der Kirche, dem Privateigentum und dem Staat zu verlieren“.

In Spanien hielt der Faschismus noch 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an. Hunderte wurden ins Gefängnis gesteckt, weil sie sich der Franco-Diktatur widersetzt hatten. Anthropologen haben geschätzt, dass vom Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs im Juli 1936 bis zum Tod Francos im November 1975 zwischen 75.000 und 150.000 Anhänger der Republik von Francos Nationalisten getötet wurden.

Lucio ging ins Exil nach Frankreich, wo er den Anarchismus entdeckte. Er war aus der nationalistischen Armee desertiert und nach Frankreich geflohen. Das Paris der 1960er Jahre war eine bürgerliche Stadt für anarchistische Intellektuelle, Organisatoren und Guerillas im Exil. Dort traf Lucio mit Mitgliede*innenrn der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Confederación Nacional de Trabajo (CNT) zusammen. Er war sehr daran interessiert, sich zu beteiligen.

Während seiner frühen Jahre in Frankreich lernte Lucio Francisco Sabate kennen, den legendären Anarchisten und außergewöhnlichen Guerilla-Kämpfer. Zu dieser Zeit war Sabate, auch bekannt unter seinem Spitznamen „El Quico“, der meistgesuchte Anarchist des Franco-Regimes. Auch die französische Polizei war auf der Suche nach Sabate, der den Widerstand gegen den Franquismo anführte. „Als ich Quico traf, nahm ich an der Juventud Libertarias teil. Sie fragten mich, ob ich Sabate helfen könne, ich war ein Ignorant, ich wusste nicht, wer er war.“ Sabate benutzte das Haus von Lucio als Versteck. Der junge Lucio hörte sich Sabates Erzählungen über direkte Aktionen an und nahm alles an Weisheit in sich auf, was er zu bieten hatte, wie Methoden zum Aufspüren von Eindringlingen. „Ich traf auf Guerillas, die mich auf den Weg zu direkten Aktionen und Enteignungen brachten. Sabate lehrte mich, den Respekt vor Privateigentum zu verlieren.“

Zu diesem Zeitpunkt begann Lucio an Banküberfällen teilzunehmen. „Es gibt keine größeren Verbrecher als die Banken“, sagt Lucio bei der Verteidigung der Enteignung. „[Dies war] das einzige Mittel, das den Anarchist*innen zur Verfügung stand, ohne Finanzierung durch die Industrie oder Regierungsvertreter*innen. Das Geld wurde an diejenigen geschickt, die unter dem Franco-Regime litten.“ Student*innenorganisationen und Arbeiter*innenorganisationen erhielten die Gelder, um Basisorganisationen zu ermöglichen. In anderen Fällen wurde das Geld für die Guerilla-Aktionen gegen das Franco-Regime verwendet, wie z.B. Kampagnen für die Freilassung der politischen Gefangenen in den nationalistischen Gefängnissen.

Um das Leben von im Exil Lebenden zu retten, dachte Lucio an einen Masterplan zur Fälschung von Pässen, damit spanische Staatsangehörige reisen konnten. „Pässe bedeuten für einen Geflüchtete die Möglichkeit, aus dem Land zu fliehen und anderswo ein sicheres Leben zu führen“, erklärt er. Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und Südamerika benutzten Dissident*innen falsche Ausweise, um ihr Leben zu führen und direkte Aktionen umzusetzen.

1977 begann Lucios Gruppe mit der Fälschung von Schecks als direkte Form zur Finanzierung des Widerstands. Lucio war im Wesentlichen der „Chef“ der Operation – er stellte die Schecks aus, verteilte sie und löste sie ein. Die Schecks waren schwieriger zu fälschen als gefälschte Banknoten. Lucio meinte, sie sollten auf das größte Bankinstitut der Welt, die National City Bank, abzielen. Die Verteilung der Schecks ging an verschiedene subversive Gruppen, die die Gelder zur Finanzierung von Solidaritätsaktionen verwendeten. Lucio erklärt, dass „niemand durch die Schecks reich wurde“. Der größte Teil der Gelder ging an die Sache. In ganz Europa wurden diese Schecks mit der gleichen Codenummer zur gleichen Zeit eingelöst.

Lucios Masterplan kostete die City Bank mehrere zweistellige Millionen Dollar Beträge in gefälschten Reiseschecks. Aber viele sagen, dass eine viel größere Summe enteignet wurde. Die City Bank war der Gnade des Fälschers ausgeliefert, der so viel gekostet hatte, dass die Bank die Reiseschecks aussetzen musste, wodurch Tausenden von Tourist*innen der Urlaub ruiniert wurde. Damals benutzte Mensch weder Scheck- noch Kreditkarten. Lucio wurde 1980 verhaftet und mit einem Koffer voller gefälschter Schecks aufgefunden. In der Zwischenzeit, während Lucio inhaftiert war, erhielt die Citibank weiterhin gefälschte Reiseschecks.

Citbank wurde besorgt. Vertreter*innen der Bank erklärten sich bereit, zu verhandeln. Lucio würde freigelassen werden, wenn er die Druckplatten für die gefälschten Schecks aushändigte. Der Austausch wurde durchgeführt, und Lucio wurde zur Legende für seinen genialen Plan. Obwohl sein Leben als Fälscher im Alter von 50 Jahren endete, ging sein Leben als Anarchist weiter.

Lucio hatte immer als Maurer gearbeitet. „Was mir am meisten geholfen hat, ist meine Arbeit, Anarchist*innen waren immer Arbeiter*innen.“ Lucio – Maurer, Anarchist, Fälscher und Enteigner hat wie seine Vorgänger ein Vermächtnis hinterlassen. „Leute wie Loise Michel, Sabate, Durruti, alle Enteigner*innen lehrten mich, wie Mensch enteignet, aber nicht zum persönlichen Vorteil, sondern wie Mensch diese Reichtümer für Veränderungen nutzt. Im Alter von 76 Jahren entschuldigt er sich nicht für seine Taten. „Ich habe enteignet, was nach der christlichen Religion eine Sünde ist. Für mich sind Enteignungen notwendig. Wie die Revolutionäre sagen: „Raub und Enteignung ist ein revolutionärer Akt, solange mensch nicht davon profitiert.

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