[Deutschland] Berlin: Freispruch nach Reggae-Fieber beim LKA

Quelle: indymedia

Der Prozesstag beginnt mit einem schon erwarteten Saalwechsel in einen Sicherheitssaal, jedoch ohne Ausweisscan und besondere Vorkontrollen. Zunächst dauert es eine ganze Weile, bis alle Beteiligten eingelassen werden und der Prozess beginnen kann. Die Zeugin Münstermann wird belehrt und geht wieder raus, um auf ihren Auftritt zu warten. Der Zeuge KOK (Kriminaloberkommissar) Goebel hingegen bleibt verschollen, platzt dann während der Anklageverlesung rein, holt sich die erste Rüge der Richterin ab und verschwindet nach seiner Belehrung erneut.

Der Anwalt des Angeklagten beantragt eine Beiordnung aufgrund des hohen Strafmaßes, was zu einer kurzen Unterbrechung führt. Die Richterin neigt schon da dazu das Verfahren einzustellen, da sie den Tatbestand der Verleumdung nicht gegeben sieht und es nur um eine versuchte Sachbeschädigung gehe. Siesagt, dass so einPlakat unter Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit fällt, da sie vor kurzem ein ähnliches Verfahren hatte, in dem sie so entschieden hat und dies höchstrichterlich, also durch das Bundesverfassungsgericht, bestätigt wurde. Oberstaatsanwalt Fenner lehnt den Vorschlag einzustellen ab und so stellt sich die Frage einer Einlassung gar nicht erst.

Die Zuschauer*innen werden wieder eingelassen und die Vernehmung der ersten Zeugin beginnt. Frau Münstermann wohnt mittlerweile nicht mehr in Berlin, sondern ist extra aus Büren bei Paderborn angereist, um ihre Aussage zu machen. Sie war in der Tatnacht im Dienst der Sicherheit des Axel-Springer-Gebäudes unterwegs und hat die Straftat ganz genau beobachtet, während sie vor der Tür eine Zigarette rauchte. Sie hat einen kleinen Mann mit kurzen dunklen Haaren und einen großen Mann mit langen blonden Haaren dabei gesehen, wie sie ein Plakat an das Gebäude anbrachten. Als sie die beiden ansprach, pikierte sie sich etwas, da ihr kein Respekt entgegengebracht wurde und die beiden erst reagierten, als sie via Funk Verstärkung anforderte. Daraufhin kamen Beamte des Abschnitt 53 und sie machte ihre Aussage. Sie hat sehr vorbildlich ein Foto des Plakats dabei, welches direkt sichergestellt und als Beweis an den Abschnitt übergeben wurde.

Die Richterin interessiert sich vor allem für die Befragung durch Goebel, die laut Aussage der Zeugin Wochen später stattfand. Dort wurden ihr Lichtbilder von diversen Person sowohl am PC, als auch auf Ausdrucken vorgelegt und sie war laut eigener Aussage gut eine Stunde mit der Identifizierung beschäftigt. Obwohl sie sagte, dass sie die kleinere Person nicht wiedererkennen könne, wurden ihr Bilder von beiden gezeigt. Sie konnte auf den Frontalaufnahmen den Täter nicht identifizieren und forderte Profilbilder von 3-4 Personen, die sie potenziell für den Täter hielt. Daraufhin wurden ihr Bilder vom Angeklagten vorgelegt, den sie jedoch ohne Brille auch nicht wiedererkannte. Erst bei einem Ganzkörperfoto meinte sie, den Angeklagten an seinem „selbstsicheren, leicht verächtlichen Grinsen“ wiedererkannt zu haben. Die Richterin bittet sie, am Pult erneut die Wahllichtbildvorlagen in Anschauung zu nehmen und zu sagen, welche 3-4 Personen sie eventuell wiedererkannt hat. Niemanden. Daraufhin gibt die Richterin zu Protokoll, dass die Zeugin den Angeklagten auf eben dieser Vorlage nicht erkannt hat, sie selbst hingegen schon. Frau Münstermann beharrt darauf, die Bilder besten Gewissens ausgewählt zu haben, ganz sicher ist sie sich jedoch nicht.

Der Anwalt erkundigt sich in seiner anschließenden Befragung nach Kameraaufnahmen der Situation. Die Zeugin erläutert, dass immer jemand in der Zentrale sitzt und die Bildschirme im Blick hat. Die Kameras zeichnen nur auf, wenn diese Person etwas sieht und auf einen Knopf drückt. Mit dieser Aussage wird die Zeugin entlassen und darf den weiten Heimweg antreten.

Anschließend wird der Zeuge Goebel in den Saal gebeten, taucht jedoch nicht auf und eine Suchaktion beginnt. Die Richterin ist zwar verständnisvoll, „dass Herr Goebel um die Ecke geht, kann es aber nicht verstehen, dass wir jetzt warten müssen, weil er Angst hat und sich vor uns verstecken will.“ Sie fordert, dass er ein Ordnungsgeld zahlen muss, denn so darf niemand mit ihrer Zeit umgehen, nicht einmal die Polizei. Schließlich betritt der Gesuchte den Saal, meidet Blickkontakt mit dem Publikum und beginnt mit seiner Aussage.

Er hat die Anzeige gelesen und hatte aufgrund der Täterbeschreibung sofort zwei Brüder im Verdacht, zu denen er offensichtlich eine persönliche Beziehung aufgebaut hat. Somit stand für ihn fest, sich diesem Fall anzunehmen und er lud 1-2 Tage nach der Anzeige die Zeugin vor, um besagte zwei Verdächtige zu identifizieren. Der kleinere sei schon mal wegen einer Plakatgeschichte aufgefallen, der Angeklagte allerdings nicht. Obwohl die Zeugin sagte, dass sie den kleineren nicht wiedererkennen könnte, wurden ihr Lichtbildvorlagen von beiden vorgelegt. Die Richterin ist irritiert, warum Bilder einer Person vorgelegt wurden, von der die Zeugin sagte, dass sie sie nicht wiedererkennen könne. Zudem versteht sie nicht, warum so viele Personen mit langen dunklen Haaren auf der Vorlagen auftauchen, wenn doch der gesuchte lange blonde Haare hatte. Goebel ist sichtlich verunsichert und beharrt darauf, dass sie ihn ja dann doch erkannt hat und es zuvor nur daran scheiterte, dass besondere Merkmale wie Brille und Nase auf den ersten Lichtbildvorlagen nicht oder nicht gut zu sehen waren.

Das bleibt erst einmal so im Raum stehen und die Frage nach weiteren Maßnahmen, die Goebel angeordnet hat, wird gestellt. Auch hier staunt die Richterin nicht schlecht, als Goebel angibt Durchsuchungsbeschlüsse für vier Wohnungen erwirkt zu haben, zwei davon wegen des Bruders des Angeklagten. Sie ist noch immer irritiert, was die kleinere Person weiterhin in den Ermittlungen zu suchen hat und warum es auch da Durchsuchungen gab. Das kann Goebel nicht beantworten. Er betont jedoch, dass in der „antifaschistischen Bibliothek Kalabalik“ die gesuchten Plakate gefunden wurden. Das verwirrt die Richterin nun endgültig. Wohnt jemand in dieser Bibliothek? Nein, die ist aber im selben Haus der Aufenthaltsadresse der kleineren Person und dessen Lebensgefährtin hat dort die Verantwortung und den Zugang. Was hat das mit dem Angeklagten zu tun? Na so kommt er an die Plakate.

Die Richterin schließt, dass man in einem solchen Kiezladen Plakate kaufen könne und das eben auch jede*r kann. Da muss Goebel leider zustimmen. Die Richterin gibt auf.

Der Anwalt erfragt nun noch, ob Herrn Goebel denn die Videoaufnahmen des Axel-Spinger-Gebäudes beantragt habe, da diese ja möglicherweise entlastend sein könnten. Dieser ist sich sicher, dass es keine Videokameras an diesem Gebäude gibt. Als Gegenbeweis werden ihm Bilder von der Fassade vorgelegt und kommentiert, dass dieses Haus wohl das Flaggschiff der Medienlandschaft Berlins sei und der Eintritt einem Flughafen-Check-In gleicht. Goebel sieht ein, dass es Kameras gibt, aber nun ist es wohl zu spät, um die Bänder zu beantragen. Er wird nach dieser Qual entlassen, lehnt das Angebot sich zu den Zuschauer*innen zu setzen jedoch ab und verlässt schnellen Schrittes den Raum, das Gebäude, die Stadt?

Oberstaatsanwalt Fenner bleibt nach dieser traurigen Vorstellung nichts anderes übrig, als einzugestehen, dass der Angeklagte nicht sicher wiedererkannt wurde und auch keine Plakate in den beiden Wohnungen, die seinetwegen durchsucht wurden, aufgefunden werden konnten. Er fordert einen Freispruch, der Anwalt schließt sich an und die Richterin bestätigt diesen.

Sie erläutert noch, dass sie eigentlich gern früher eingestellt hätte, denn wäre das Plakat in der Titanic abgedruckt worden, hätte man es auch nur für Satire gehalten.

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