Kassiber #1

 

Aus dem Editorial:

 

Das ist die erste Ausgabe einer Zeitschrift, die wir als ABC-Gruppe Wien herausgeben, und die Texte von uns selbst und anderen anarchistischen und solidarischen GenossInnen vereinigt. Obwohl die Idee zu diesem Projekt schon einige Zeit zurückliegt, haben wir es erst jetzt geschafft, es zu verwirklichen. Das erklärt zum Teil auch, dass einige Texte nicht mehr ganz aktuell sind, es für uns aber dennoch wichtig war sie ins Heft mit hinein zu nehmen und zu veröffentlichen. Daneben stehen die einzelnen Beiträge auch nicht widerspruchslos nebeneinander. Denn sowohl innerhalb der Gruppe als auch in der Zusammenarbeit mit anderen Personen gehen unsere Meinungen und Perspektiven zum Teil weit auseinander. Viel eher war es unser Zugang, einen Überblick über Geschehenes zu geben, und damit auch Raum für neue oder längst überfällige Diskussionen zu schaffen. Die unterschiedlichen Artikel und Texte stellen zu einem erheblichen Teil eine Beschäftigung mit den Ereignissen der letzten Jahre dar – und daher auch mit der Repression in Österreich. Im Frühling und Sommer 2012 endeten die Verfahren gegen 13 Personen aus der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung, sowie gegen die 4 Personen, die wegen abfackelns zweier Mülltonnen vor einer Filiale des Arbeitsmarktservice (AMS) 2010 in Wien der Prozess gemacht wurde. Beide Zusammenhänge, in erster Linie aber die „TierrechtlerInnen“, waren mit einer, für österreichische Verhältnisse, doch recht weitreichenden Repression konfrontiert. Diese beiden Prozesse waren prägend für das Klima innerhalb „linksradikaler“ und anarchistischer Zusammenhänge. Die Angst vor Repression in diversen Zusammenhängen, vor allem in Wien, hat sich eben in diesen letzten 4 Jahren enorm verschärft, was natürlich nicht für alle Gruppen und Personen zutreffend ist, aber dennoch eine eher „ungute“ Stimmung geschaffen hat. In Anbetracht der aktuellen Lage kann wohl behauptet werden, dass in Wien seit Jahren nicht mehr eine so große Orientierungslosigkeit geherrscht hat wie jetzt gerade. Diese Feststellung lassen wir jetzt einfach mal so stehen. Denn sich an dieser Stelle weiter darüber auszulassen wäre unnötig, und würde zu einer Diskussion sowieso nicht beitragen. Eher denken wir, dass die gerade um sich greifende Leere auch den Beginn für etwas Neues markieren könnte.Die Idee, ein Dossier zu den „Gefängnisneubauprojekten“ in Österreich zu schreiben, ist relativ kurzfristig entstanden. Letzten Endes hat uns aber diese Debatte von Beginn an begleitet. Das hier veröffentlichte Dossier hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll lediglich einen Ausgangspunkt für weitere Diskussionen liefern. Beispielsweise indet das Gefängnis in Vordernberg in der Steiermark, welches 2013 fertiggestellt werden wird, gar keine Erwähnung. Das Dossier beschränkt sich auf die Justizanstalten und enthält nur geringfügige Infos zu „Anhaltezentren“ und anderen Formen der Einsperrung. Es stellt keine fertige Analyse dar, sondern ist vielmehr eine Zusammenstellung der Geschehnisse, sowie einige kurze Schlüsse, die daraus gezogen werden könnten. Wie, beziehungsweise ob überhaupt aus diesen Entwicklungen jemals ein sozialer Kampf entstehen kann/wird, steht noch in den Sternen. Denn obwohl die Infragestellung und Ablehnung von Gefängnissen sowie die Kritik an Zwangsanstalten in Zusammenhang mit der Repression der letzten Jahre immer wieder zu Debatten führte, kann von einer Übereinkunft, die sich gegen diese Unterdrückungsmethoden richtet, nicht im entferntesten gesprochen werden.

In welche Richtung der „Kassiber“ gehen wird, oder gehen kann ist noch nicht klar, das Projekt steht noch am Anfang einer Entwicklung, die erst ansatzweise begonnen hat. Die aktuelle Lage in Österreich ist dafür wohl nicht ganz irrelevant. Von einer Geschichte einer eigenständigen anarchistischen Bewegung kann nicht gesprochen werden. Wir können in Anbetracht der letzten Jahre auch auf keine größeren Interventionen, die es aus den engen Zusammenhängen einer „Szene“ heraus geschafft hätten, zurückblicken. Natürlich wäre es falsch, die Entwicklung alleine von einer quantitativen Seite zu betrachten. Doch auch die Qualität der Debatte, die sich rund um das Verhältnis Gefängnis dreht, hat sich nicht vertiefen können. Beziehungsweise hat sich diese nur in sehr kleinen Kreisen weiterentwickelt.

Eine anarchistische Kritik und Praxis, die sowohl ohne Utopien als auch ohne Anbiederung an politische Verhältnisse auskommt, war immer eingeschränkt. Sei es durch das Fehlen von revolutionären Perspektiven, der kontinuierlichen „Szene Lethargie“ oder einfach damit, dass eine Kontinuität im Zusammenhang mit sozialen Kämpfen, Erarbeitung revolutionärer Perspektiven und der Intervention in sozialen Konlikten nicht vorhanden ist. Damit ist eine gewisse Wiederholung von Diskussionen und Taktiken entstanden. Eine tiefere Analyse dieser Problematik oder eine Beschäftigung mit den Verhältnissen und Geschehnissen der letzten Jahrzehnte stehen noch aus. Viel eher inden wir uns in einer Spirale wieder, die alle paar Jahre von neuem beginnt. Dieses „Generationsproblem“ ist nur allzu symptomatisch für den „Stillstand“, der seit einiger Zeit doch recht akut geworden ist, und die Weiterentwicklung von subversiven und revolutionären Perspektiven in Österreich bremst. Im großen und ganzen liefert die Zusammenstelltung der Texte einen Abriss über jene Diskussionen, die seit 2008 in diese Richtung unternommen wurden. Ergänzt durch einige Texte, deren Erscheinen uns ein persönliches Anliegen war. Nicht mehr und nicht weniger.

ABC Wien im Dezember 2012

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